Neue Herausforderungen für Landwirtschaft und ländliche Räume
4. Teil der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim BMELV
11. Mit dem Stichwort Risikomanagement werden verschiedene Fragen der Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik unter veränderten Preis- und Produktionsrisiken angesprochen. Neue Preisrisiken können durch volatile Agrarmärkte bei weiterer Liberalisierung der EU-Agrarpolitik entstehen, und neue Produktionsrisiken zeichnen sich als Folge des Klimawandels ab. Grundsätzlich ist der Beirat der Meinung, dass die Absicherung von Risiken primär durch privatwirtschaftliche Aktivitäten erfolgen sollte. Bei speziellen Produktionsrisiken und Marktversagen auf Versicherungsmärkten können marktwirtschaftliche Instrumente unzureichend sein und staatliches Handeln erforderlich machen. Ob nach Abbau der Preisstützung und Liberalisierung der Agrarmärkte eine zunehmende Volatilität auf den Agrarmärkten neue Instrumente der Marktstabilisierung erforderlich macht, ist angesichts der derzeitigen Marktentwicklungen nicht absehbar. Der Kommission ist zuzustimmen, wenn sie die Entwicklungen beobachten und gegebenenfalls später den Bereich des Risikomanagements überprüfen will (siehe Punkt 7).
12. Bezüglich der Bioenergiepolitik hat die Kommission ihre Vorstellungen im Gesundheitscheck noch einmal aufgegriffen und festgestellt, dass die verbindlichen Ziele für den Anteil von Biokraftstoffen (10 Prozent) und erneuerbaren Energien (20 Prozent) am Gesamtkraftstoff- und Energieverbrauch bis 2020 beträchtliche Auswirkungen auf die EU-Landwirtschaft haben dürften, während gleichzeitig […] die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln auch künftig die vorrangige Aufgabe der EU-Landwirtschaft bleibt (1). Wie ein solcher Spagat bewältigt werden kann, lässt die Kommission offen.
13. Der Beirat hat in seinem Gutachten zur "Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung" (5) die derzeitige Bioenergiepolitik in Deutschland und Europa kritisiert und empfohlen, die Ausrichtung dieser Politik grundsätzlich zu überdenken. Kritisiert wird insbesondere der ineffiziente Einsatz von Mitteln zur Erreichung der klimapolitischen Ziele; so sind verschiedene Biogaslinien und Biokraftstoffe besonders teuer bei geringer klimapolitischer Wirkung. Die derzeitige Bioenergiepolitik führt darüber hinaus zu einem Konflikt zwischen Nahrungs- und Futtermittelproduktion einerseits und Bioenergieproduktion andererseits und trägt zu der "neuen Knappheit" auf den Agrarmärkten bei.
14. Die Kommission schlägt vor, verstärkte Anreize für die Entwicklung von Biokraftstoffen der zweiten Generation anzubieten und zu prüfen, ob die Stützungsregelung für Energiepflanzen noch kosteneffizient ist. Der Beirat hat in seinem Gutachten vorgeschlagen, die Förderung des Energiepflanzenanbaus nicht fortzuführen. Bezüglich der Biokraftstoffe der zweiten Generation hat der Beirat vorgeschlagen, die Technologieentwicklung verstärkt zu fördern, aber zunächst keine Anreize für eine breite Einführung zu geben (5).
15. Die Kommission schlägt den Ausbau der 2. Säule vor, um Klimaanpassungsmaßnahmen, Maßnahmen im Bereich des Wassermanagements und weitere Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt zu berücksichtigen. Diese Erweiterung des Maßnahmenspektrums ist zu begrüßen. Zur Erreichung der Ziele Abschwächung des Klimawandels und sachgemäßes Wassermanagement hält der Beirat die von der Kommission vorgeschlagene Anpassung der Cross-Compliance-Regelung nicht für einen geeigneten Weg (vgl. Punkt 3). Zur Erreichung dieser Ziele sind andere Instrumente geeigneter, wie der Beirat zum Beispiel in seinem Gutachten zur Bioenergiepolitik für den Klimaschutz dargelegt hat (5).
16. Der Beirat befürwortet eine Ausweitung von Maßnahmen in der 2. Säule, wie zuvor diskutiert; eine damit verbundene finanzielle Aufstockung des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sollte jedoch einhergehen mit der Formulierung eines konsistenten Konzepts für die 2. Säule, an dem es nach wie vor mangelt. So hat der Beirat kritisiert (4), dass der ELER noch stark sektor- und nicht regionalorientiert ist, dass generell bei einzelnen Maßnahmen eine stärkere Ziel-Mittel-Betrachtung angezeigt ist und dass das Subsidiaritätsprinzip stärker beachtet werden muss. Gerade vor dem Hintergrund neuer Aufgaben für die 2. Säule ist die vom Beirat geforderte konzeptionelle Neuausrichtung dieses Politikfeldes zwingend notwendig.
Die finanzielle Aufstockung der 2. Säule durch das Instrument der Modulation ist problematisch, denn die Entwicklung und Ausstattung dieses neuen und wichtigen Politikfeldes sollte nicht von der Höhe und Entwicklung der Direktzahlungen abhängen. Deshalb empfiehlt der Beirat, die künftige Finanzierung der 2. Säule eigenständig und verlässlich zu regeln.
Solange eine ausreichende und verlässliche finanzielle Aufstockung der 2. Säule anderweitig nicht möglich ist, hält der Beirat die von der Kommission vorgeschlagene Anhebung der obligatorischen Modulation in den Haushaltsjahren 2010 bis 2013 um jährlich zwei Prozent-Punkte für eine akzeptable zweitbeste Lösung; umso dringender fordert er die konzeptionelle Weiterentwicklung der 2. Säule und der Politik für den ländlichen Raum (4).
Die Kommission weist darauf hin, dass der Gesundheitscheck auch eine Vorbereitung auf die anstehende Überprüfung des EU-Haushalts darstellt. Bei dieser Haushaltsüberprüfung wird es um die grundlegende Finanzierung des künftigen EU-Haushalts und einzelner Politikfelder gehen und damit auch um die künftige Finanzierung der Agrarpolitik und der Politik für den ländlichen Raum. Beim Gesundheitscheck hingegen wird von einem gegebenen Finanzrahmen für die 1. und 2. Säule bis zum Jahr 2013 ausgegangen und die Finanzierung nach 2013 nicht thematisiert. Der Beirat hält es für notwendig, über die Inhalte des Gesundheitschecks hinaus wesentliche Eckpunkte der Agrarpolitik nach 2013 zu diskutieren und rechtzeitig festzulegen, um auch auf diese Weise verlässliche Rahmenbedingungen für die Agrarwirtschaft zu geben.
Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, die in den Luxemburger Beschlüssen eine zentrale Bedeutung hatte, wird in der Kommissionsmitteilung nur randständig thematisiert. Der Beirat geht davon aus, dass sich diese Zielsetzung angesichts der Entwicklung der Weltmärkte und der öffentlichen Haushalte in Zukunft weniger durch traditionelle agrarpolitische Instrumentarien erreichen lässt; es wird vielmehr vor allem um die Weichenstellung in anderen Politikbereichen und um geeignete rechtliche Rahmenbedingungen für Unternehmen gehen. Aktuelle Themen wie eine mögliche "Eiweißlücke" im Futtermittelbereich, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln oder die Regelung der Produktkennzeichnung werden für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Landwirtschaft von Bedeutung sein.