"Die Tiere brauchen mich"

Interview der Bundestierschutzbeauftragten Ariane Kari mit der "DIE ZEIT"

Frage: Frau Kari, was ist der Unterschied zwischen einem Hund und einem Schwein?

Ariane Kari: Schweine sind so intelligent wie Hunde, vermutlich sogar noch intelligenter. Aber der Hund wird bei uns in Deutschland als Heimtier gehalten, als Gefährte, und das Schwein vornehmlich als landwirtschaftlich genutztes Tier.

Frage: Sind Hunde und Schweine gleich sozial?

Ariane Kari: Auf jeden Fall. Von Hunden wissen das ja die meisten, aber auch Schweine sind sehr soziale Tiere. Sie haben unterschiedliche Beziehungen zu ihren Artgenossen und können sicherlich 60 Individuen voneinander unterscheiden.

Frage: Sind Hunde und Schweine auch gleich vor dem Gesetz?

Ariane Kari: Ja, wenn man nach dem Wortlaut des Tierschutzgesetzes geht. Dort heißt es, man darf Tieren ohne vernünftigen Grund keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Und dabei bestehen keine Ausnahmen für Nutztiere. Auch unterscheidet die Strafnorm des Tierschutzgesetzes nicht zwischen Heimund Nutztier. Unterschiede finden sich aber zum Beispiel in der Auslegung bei Strafverfahren. Wer Hunden keinen Auslauf ermöglicht, wird im Regelfall bestraft, weil die Tiere unter diesem Mangel leiden. Im landwirtschaftlichen Bereich dagegen, wo etwa Schweine sehr eingeschränkt sind durch ihre Haltung, wird das nicht angenommen.

Frage: Wenn Hunde und Schweine sich so gleichen, warum werden sie dann so unterschiedlich behandelt?

Ariane Kari: Ein Grund ist sicherlich Unwissen, hier konkret über die Bedürfnisse von Schweinen. Ein anderes Motiv könnte mit Blick auf die Nutztiere das sogenannte Schlachthofparadoxon sein: Es ist in Ordnung, dass das Tier auf der Weide steht, und es ist in Ordnung, das Fleisch auf dem Teller zu haben. Aber das Dazwischen wird lieber ausgeblendet.

Frage: Am 12. Juni haben Sie Ihr Amt als Bundestierschutzbeauftragte angetreten – den Posten gab es vorher nicht. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Ariane Kari: Als meine größte Aufgabe sehe ich es, den Tieren eine Stimme zu geben, ihre Interessen zu vertreten, zum Beispiel im Gesetzgebungsverfahren. Es geht mir um Heim- und Nutztiere, aber auch um Versuchs- oder Zirkustiere. In vielen Bereichen brauchen wir bessere Gesetze und Verordnungen. Für bestimmte Tierarten braucht es zudem Mindestanforderungen.

Frage: Ein Beispiel?

Ariane Kari: Für Rinder ab sechs Monaten gibt es keine konkreten Haltungsvorschriften. Es gibt nur Leitlinien, zum Beispiel vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, an denen sich manche Bundesländer orientieren und andere nicht. Ob eine Kuh auf die Weide oder einen Laufhof muss oder monatelang im Stall angebunden bleibt, ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt.

Frage: Was wäre denn der Kuh am liebsten?

Ariane Kari: Rinder laufen gerne, auf der Weide legen sie am Tag bis zu 13 Kilometer zurück, vor allem im Weideschritt beim Grasen. Sie sind zudem Herdentiere und pflegen sogar Freundschaften. Daher ist die Anbindehaltung von Rindern aus Tierschutzsicht kritisch zu sehen. Aber der größte Missstand bei den Kühen ist aus meiner Sicht, dass sie zu einseitig auf Leistung gezüchtet werden. Milchkühe geben immer mehr Milch, und dadurch leidet der Organismus der Kühe. Ihre Euter und Klauen entzünden sich oft, und die Lebenszeit ist kürzer.

Frage: Wie sieht es bei Schweinen und Geflügel aus?

Ariane Kari: Mit am schlimmsten bei den Schweinen sind die Vollspaltenböden aus Beton. 80 Prozent der Schweine in Deutschland werden so gehalten. Das mag für die Haltung praktisch sein, weil die Exkremente direkt abfließen, aber die Schweine bekommen davon Liegeschwielen und verletzen sich die Klauen. Und beim Geflügel verzeichnen wir zum Beispiel unter den Masttieren erschreckende Sterberaten. In einem Stall mit Tausenden Masthähnchen finden Sie bei jeder Kontrolle Tiere vor, die entweder schon tot sind oder unrettbar krank.

Frage: Woran liegt das?

Ariane Kari: An der einseitigen Zucht zur Mast, die zum Beispiel zu Erkrankungen am Bewegungsapparat führt. Manche bekommen durch das Gewicht am Ende so starke Beinschmerzen, dass sie nicht mehr zur Tränke oder zum Futter laufen können. So verenden die Tiere dann.

Frage: Was können Sie in Ihrem neuen Amt gegen diese eklatanten Missstände ausrichten?

Ariane Kari: Ich kann zunächst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Vieles ist noch immer nicht bekannt. Nur in ganz seltenen Fällen entsteht Tierquälerei durch sadistisches Handeln, viel eher durch Unwissen, manchmal auch durch Überforderung. Aufklärung braucht es auch bei den Heimtieren, etwa bei Hunden: Diese extra auf Kurzschnäuzigkeit gezüchteten Möpse oder Französischen Bulldoggen schnorcheln häufig beim Atmen. Manche Leute finden das »süß«. Diese Hunde leiden aber an Atemnot.

Frage: Wie wollen Sie das alles konkret verbessern?

Ariane Kari: Ich bin nicht parteigebunden und in meinem Amt unabhängig, ich kann auf alle Ministerien zugehen, ich kann Parlamentarier dafür gewinnen, sich im Gesetzgebungsverfahren für mehr Tierschutz einzusetzen. Und ich kann Recht und Tiermedizin besser miteinander vernetzen, dazu plane ich eine Jahrestagung. An den meisten Unis wird Tierschutzrecht nicht einmal gelehrt. Ich bin sicher: Wenn es mehr Juristinnen und Juristen gibt, die sich mit diesem Thema intensiv beschäftigen, dann gucken die im Rechtsverfahren auch genauer hin – egal wie das Tier genutzt wird.

Frage: Teile der Opposition finden Ihr Amt jetzt schon überflüssig. Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hieß es, die deutschen Tierhalter bräuchten keine neue, kostspielige Stelle in der Bundesregierung, die ihnen reinredet.

Ariane Kari: Die Tierhalter brauchen mich nicht, sondern die Tiere. Aber ehrlich gesagt hatte ich mit dieser Kritik schon gerechnet. Ich halte dagegen, dass es bereits in neun Bundesländern Landestierschutzbeauftragte gibt. Die haben sich alle bewährt, auch in CDU-geführten Bundesländern. Dem Landwirtschaftsministerium in Baden-Württemberg, wo ich bislang stellvertretende Landestierschutzbeauftragte war, steht auch ein CDU-Minister vor, und bei der Zusammenarbeit gab es keine Probleme.

Frage: Was haben Sie bisher gelernt, was Ihnen in Ihrem jetzigen Amt nutzen könnte?

Ariane Kari: Wie man eine Stabsstelle aufbaut zum Beispiel. Die muss ich ja jetzt auf Bundesebene ganz neu gründen. Im Landesministerium lag mir auch die Zusammenarbeit mit Juristen sehr. Und vorher war ich zwei Jahre Amtstierärztin im Rhein-Neckar-Kreis. Da habe ich mal an einem einzigen Tag 46 Hunde und einen Kongo-Graupapagei beschlagnahmt. An einem anderen Tag verschaffte ich mir Zutritt zu einem Keller, wo jemand unerlaubt Schweine hielt. Es war so dunkel, dass mein Lichtmesser nichts anzeigte. Die Tiere standen bis zum Bauch in ihren Exkrementen. Ich kenne also auch die Praxis als Amtstierärztin, bis in ihre Extreme.

Frage: Halten Sie selbst Tiere?

Ariane Kari: Zu Hause in Pforzheim habe ich Goldfische im Gartenteich. Früher, als ich noch mehr Zeit hatte, hatte ich Hunde. Ich bin eher ein Hunde- als ein Katzenmensch.

Frage: Essen Sie noch Tiere?

Ariane Kari: Seit Ende des Tiermedizinstudiums versuche ich, mich tierleidfrei und umweltschonend zu ernähren, aber auch zu leben. Auf Dienstreisen habe ich manchmal nicht die Wahl. Und bevor ich vor lauter Hunger nicht klar denken kann, greife ich auch mal zum Käse. Aber in der Regel esse ich keine tierischen Produkte. Nur auf Fleisch zu verzichten, finde ich einen Schritt in die richtige Richtung, aber nicht weit genug durchdacht. Wenn man Milch trinkt, sollte man meines Erachtens auch Kalbfleisch essen. Wenn man Eier isst, dann sollte man auch das Suppenhuhn kochen. Und über Lederwaren könnte man zum Beispiel auch nachdenken. Ich habe zwar eine Ledertasche, aber die ist schon zehn Jahre alt. Die schmeiße ich jetzt deshalb nicht weg.

Frage: Besteht die Gefahr, dass Sie mit Ihrer Arbeit auf taube Ohren stoßen, wenn von vornherein klar ist: Sie selbst essen das eh alles gar nicht, was in den Ställen produziert wird?

Ariane Kari: Für mich ist jeder frei in seiner Entscheidung. Ich versuche, feindbildfrei zu agieren. Ich gehe gerne in landwirtschaftliche Betriebe. Und ich finde, dass die Tierhalter, die wirklich den Weg zu mehr Tierschutz wählen, bestmöglich unterstützt werden sollten. Insgesamt sollten wir mehr darüber sprechen, was die unterschiedlichen Haltungsformen bedeuten. Damit Verbraucher sich bewusst für das Bessere entscheiden können. Und das sollen die Landwirte dann auch merken.

Frage: Glauben Sie, dass die Deutschen in 100 Jahren noch Tiere halten, um sie zu essen?

Ariane Kari: Auf jeden Fall. Ich glaube, für viele ist es wirklich legitim, Tiere zu essen, wenn die Tiere vorher gut gehalten wurden und wenn die Schlachtung so abläuft, dass man sagen kann: Das war in Ordnung.

Quelle: DIE ZEIT vom 22. Juni 2023

Fragen von Merlind Theile

Erschienen am im Format Interview

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