Wattboden – Boden des Jahres 2020: Vermittler zwischen Bodenwelten

Das Kuratorium "Boden des Jahres" stellt jedes Jahr am Weltbodentag, dem 5. Dezember, den neu gekürten Boden des Folgejahres vor. Für 2020 fiel die Wahl auf den Wattboden. Das Kuratorium ist ein Gremium der bodenkundlichen Fachverbände: Bodenkundliche Gesellschaft, Bundesverband Boden und Ingenieurtechnischer Verband für Altlastenmanagement und Flächenrecycling. Die Aktion wird vom Umweltbundesamt unterstützt.

Jedes Jahr übernimmt ein Bundesland mit seinem Landwirtschafts- oder Umweltministerium die Schirmherrschaft und richtet den Weltbodentag in seiner Landesvertretung in Berlin aus. Für den Wattboden übernimmt Jens Kerstan, Umweltsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, die Schirmherrschaft.

Wo kommen Wattböden in Deutschland vor?

Wattenmeere und ihre Böden kommen weltweit an Meeresküsten mit Gezeiteneinflüssen vor. Sie entstehen an flachen Meeresküsten auf den Flächen, die zwischen Flut und Ebbe trockenfallen und an denen bei Flut Sand, Schluff, Ton und organisches Material wie Pflanzen- und Tierreste sowie Plankton sedimentiert werden können. Auch im Gezeitenrückstaubereich der ins Meer mündenden Flüsse entstehen Wattböden.

Bild einer Karte, in der alle Watten an der deutschen Nordseeküste eingetragen sind Wattbodenkarte
Übersicht der Watten (orange Flächen) an der deutschen Nordseeküste © Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Hannover

Zwischen Den Helder in den Niederlanden und Esbjerg in Dänemark ist ein großes zusammenhängendes Wattgebiet entstanden. Über etwa 450 km Länge und durchschnittlich 10 km Breite hat sich ein hoch belebtes dynamisches Ökosystem entwickelt. Zum Meer hin wird dieses ca. 4500 km² große Gebiet durch zahlreiche Inseln, Halligen und Sandbänke abgeschirmt. An den Flüssen Ems, Weser und Elbe kommen im Gezeiteneinfluss Wattböden bis weit ins Landesinnere vor.

Watten sind ganz besondere Böden

Der Bereich zwischen der mittleren Tideniedrigwasserlinie (Meeresüberflutung bei Ebbe) und der mittleren Tidehochwasserlinie (Meeresüberflutung bei Hochwasser) ist die Zone der Wattböden. Folgende Faktoren machen diesen Lebensraum besonders dynamisch:

  • Zweimal täglich wird die Fläche überflutet und fällt anschließend wieder trocken.
  • Bei jeder Flut wird mineralisches Material (Sand, Schluff und Ton) sowie organisches Material (Plankton, einzellige Algen, Pflanzen- und Tierreste) abgelagert.
  • Vor allem beim Rückzug der Überflutung wird Bodenmaterial erodiert und an anderer Stelle sedimentiert.
  • Ein ständiger Wechsel von reduzierenden und oxidierenden Verhältnissen (Sauerstoffarmut und Anwesenheit von Sauerstoff) sowie von Licht und Dunkelheit durch Ebbe und Flut prägt die Lebensbedingungen.
  • Der Salzgehalt des Meereswassers und des Bodenwassers ist nur für Organismen mit besonderen Anpassungen zu ertragen und kann stark schwanken.
Profil eines Wattboden Wattboden
Wattboden mit einer 2-4 mm dicken sauerstoffhaltigen rostbraunen Bodenzone über einer schwarzfarbenen sauerstofffreien Bodenzone mit rostfarbenen Grabgängen von Muscheln und Wattwürmern © Ernst Gehrt, Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, Niedersachsen

Wattböden sind Schwellenböden, die zwischen den Unterwasserböden der Meere und den Landböden vermitteln. Sie sind damit Mittler zwischen einer anoxischen und einer oxischen (belüfteten, sauerstoffhaltigen) Lebenswelt. Damit diese besonderen Böden beiden Ansprüchen genügen können, sind sie Lebensort sehr unterschiedlicher Organismengruppen.

Wattböden sind einzigartige Lebensräume

Häufig bildet sich auf der Bodenoberfläche der Wattböden eine dünne Lage aus einzelligen Kieselalgen (Diatomeen). Sie brauchen wie alle Pflanzen Sonnenlicht und Kohlendioxid aus der Luft und bauen organische Substanz auf. Im Gegensatz zu mehrzelligen Pflanzen können sie sich aktiv bewegen und einige Millimeter bis Zentimeter in den Boden wandern. Sie bilden bräunlich-gelbe bis leicht grünliche gallertartige Biofilme auf der Bodenoberfläche.

Unter einer millimeterdünnen mineralischen Deckschicht siedeln sich häufig Cyanobakterien an, die den Böden leicht grün bis blaugrün färben. Diese Bakterien sind Konsumenten, nutzen das Sonnenlicht und setzen Sauerstoff und Stickstoff frei.
Unmittelbar unterhalb siedeln sich häufig Schwefelpurpurbakterien an, die den Boden in einer papierblattdicken Lage (Biofilm) rot färben. Diese Bakterien verarbeiten Schwefelverbindungen und verbrauchen Sauerstoff.

Bild eines Biofilms auf Bakterien im Wattboden Bakterienfilme
Biofilme im Wattboden, grün bis blau färbende Cyanobakterien über rosa bis rot färbenden Schwefelpurpurbakterien © Ernst Gehrt, Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, Niedersachsen

Nach unten schließen sich Bakterien an, die Sulfate aus dem Meerwasser und schwefelhaltige Pflanzenreste zu Eisensulfid reduzieren und den Boden grau bis schwarz färben. Diese Lebensgemeinschaft verklebt die Mineralkörner durch Ausscheidungen und stabilisiert das Wattsediment. Bakteriengemeinschaften gehören mit einem Alter von mehr als 2 Milliarden Jahren zu den ältesten Lebensgemeinschaften unserer Erde. Sie haben sich entwickelt, als die Erde noch keine sauerstoffhaltige Atmosphäre besaß. Bakterien und Kieselalgen bilden die Nahrungsgrundlage für ein- und mehrzellige Tiere. Außerdem setzen sie durch Mineralisierung von organischer Substanz Nährstoffe frei, die Nahrungsbasis für vielzellige, höhere Pflanzen.

In den Hohlräumen zwischen Mineralkörnern nahe der Bodenoberfläche siedelt eine Gemeinschaft von sehr kleinen Tieren an, die nur im Stereomikroskop erkennbar sind. Hierzu gehören unter anderem kleine Krebse und Wurmarten, Milben und Bärtierchen. In einer Hand voll Sandkörner können mehrere 10.000 winzige Tiere vorkommen.

Den zahlreichen Besuchern der Watten bleiben größere Tierarten in Erinnerung, die mit bloßem Auge gut erkennbar sind. Hierzu zählen Sandfloh, Wattwurm, Seeringelwurm, Herzmuschel, Miesmuschel, Wattschnecke, Sandklaffmuschel, kleine und mittelgroße Krebsarten, Wattvögel und Rastvögel sowie Robben.

Bild eines grünen Seeringelwurms Grüner Seeringelwurm
Bild eines grünen Seeringelwurms © Klaus Janke, Behörde für Energie und Umwelt, Hamburg

Der ständige Wechsel der Lebensbedingungen macht es für die immobilen höheren Pflanzen schwierig, auf dem Wattboden zu siedeln. Im erhöhten Wattbereich mit längeren Trockenphasen siedelt sich trotz täglich zweifacher Überflutung Zwergseegras an. Der Bereich der Verlandungszone ist das Grenzgebiet zwischen Meer- und Landböden. Hier wachsen der Aufrechte Queller und das Schlickgras. Wenn sich diese Pflanzen zu größeren und dichten Beständen entwickelt haben, wirken sie als Sedimentationsfalle für die Meeressedimente, die bei Flut angeschwemmt und als Schlickwatt abgelagert werden.

Langsam wächst dieser Bereich dann aus der täglichen Überflutung heraus und andere salzwassertolerante Pflanzenarten wie Andelgras, Strandaster und Strandflieder können sich ansiedeln. Aus der Verlandungszone entwickelt sich die Andelzone, aus Wattböden entwickeln sich Rohmarschen.

Der Lebensraum Watt und die hier vorkommenden Wattböden sind sensible Standorte, sie müssen geschützt und behutsam genutzt werden

Verschmutzungen und zu hohe Nährstoffeinträge in die Nordsee beeinträchtigen die Tier-, Pflanzen- und Mikrobenwelt der Wattböden massiv. Hohe Nährstoffeinträge verursachen übermäßiges Algenwachstum im Frühsommer. Der Abbau der Algenreste führt zu Sauerstoffmangel. Die sauerstoffhaltige Schicht verschwindet stellenweise.

Öl und Öl verwandte Verbindungen gelangen aus Tankerunglücken, aus Flüssen, von Schiffen (Reinigung, Entsorgung) und Ölförderanlagen in die Wattböden. Intensive Krabbenfischerei findet in den an die eigentlichen Wattböden angrenzenden, tieferen Bereichen des Sublitorals statt, die ständig von Meerwasser bedeckt sind. Durch die hohe Konnektivität der Ökosysteme im Wattenmeer beeinflusst sie indirekt auch die Lebensgemeinschaften der Wattböden.

Auch der örtlich intensive Fremdenverkehr stellt eine Belastung dieser sensiblen Ökosysteme dar. Eindeichungen entsprechen einer unwiederbringlichen Wattzerstörung, denn ohne Gezeitenströmung gibt es keine Wattdynamik.

Zwischen Den Helder (Niederlande) und Esbjerg (Dänemark) ist das Wattenmeer mit den Inseln, Halligen und Sandbänken sowie den Watten und einem breiten meerseitigen Bereich zum UNESCO Weltnaturerbe ernannt worden. Damit haben die beteiligten Staaten Niederlande, Deutschland und Dänemark weitgehende Verpflichtungen zum Schutz, zur Entwicklung und zur Naturbildung für diesen Bereich übernommen. Ganz wesentliche Schritte zum Schutz der Watten sind die Einrichtung von Naturschutzgebieten und die Watten-Nationalparke.

Informationen zum Wattboden

Weitere Informationen, Links, Downloads, Veranstaltungen und Adressen zum Wattboden finden Sie unter www.boden-des-jahres.de

Portraitfoto
Gerhard Milbert, Sprecher des Kuratoriums © Gerhard Milbert

Ein Beitrag von Gerhard Milbert, Kuratorium Boden des Jahres.

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