Lockangebote mit Dumpingspreise für Fleisch sind nicht anständig
Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der "Rhein-Zeitung über Weinbau, Kükentöten, Tierschutz, das Tierwohllabel, die ländlichen Räume und Digitalisierung
Frage: Der Blick auf das Organigramm ihres Ministeriums hat uns irritiert. Dort gibt es ein Referat für Milch, ein Referat für tierische Produkte und eines für pflanzliche Produkte. Für Wein gibt es nur eines zusammen mit Bier und anderen Getränken. Hat der Weinbau einen zu geringen Stellenwert?
Julia Klöckner: In meinem Ministerium hat der Weinbau natürlich einen ganz besonderen Stellenwert, weil Deutschland ein wichtiger Weinproduzent in Europa ist. Deutschland stehen deswegen jährlich knapp 39 Millionen Euro an EU-Mitteln für die Weinbauförderung als Nationales Stützungsprogramm zur Verfügung. Rheinland-Pfalz erhält als größter deutscher Weinproduzent mit über 18 Millionen Euro den Löwenanteil dieser Förderung. Es ist also keine Frage des Organigramms, sondern ob wir mit qualifiziertem Personal und Sachverstand ausgestattet sind – und das sind wir. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einem neuen Bezeichnungsrecht.
Frage: Wird man demnächst also die Etiketten besser verstehen?
Julia Klöckner: Für uns ist vor allem wichtig, dass man die Herkunft erkennen kann. Und je klarer die Herkunft ist, umso mehr muss man auch ein Qualitätsversprechen einhalten. Der Verbraucher muss wissen, was bei ihm ins Glas kommt. Damit steigt dann auch die Wertschätzung.
Frage: Wenn Sie dann ins Mittelrheintal schauen, kommen Ihnen dann nicht die Tränen angesichts der Brachen?
Julia Klöckner: Wir erleben eine starke Strukturveränderung. Das ist unübersehbar. Es gibt viele Fälle, in denen die nächste Generation den Betrieb der Eltern nicht mehr weitergeführen, weil es sich nicht mehr rechnet, weil die Arbeit zu aufwendig ist. Weinbau ist nicht nur, aber auch Kulturlandschaftspflege. Deshalb müssen wir zum Beispiel die Arbeit im Steillagenweinbau fördern. Deshalb haben wir an der Mosel ein Zentrum für Steillagenforschung installiert. Steillagen zu bewirtschaften, ist unglaublich aufwendig. Wein in der Steillage zu produzieren, kostet deutlich mehr als in einer Flachlage. Hier brauchen wir stärkere, zielgenaue Unterstützung für diejenigen, die solche Flächen bewirtschaften wollen. Am Ende ist das auch ein Beitrag zur Kulturlandschaftspflege in unser aller Sinne. Potenziale in Steillagen sehe ich auch in der Digitalisierung, zum Beispiel durch den Einsatz von Drohnen.
Frage: Kommen wir vom Wein zu einem deutlich unappetitlicheren Thema. Männliche Küken werden noch immer geschreddert, weil sie für die Lebensmittelindustrie nicht von Nutzen sind. Wie lange werden wir das noch dulden müssen?
Julia Klöckner: Es ist ethisch nicht vertretbar, Tiere zu töten, nur weil sie das falsche falsche Geschlecht haben. Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Wegwerfware, Leider ist es gängige Praxis in Europa, männliche Küken, die sich nicht für eine weitere Verwendung eigenen, zu töten. Aus dem Haushalt meines Ministeriums haben wir deshalb Millionenbeträge in die Erforschung von innovativen Alternativen investiert, die jetzt in die Praxisanwendung kommen, damit das Kükentöten überflüssig wird.
Frage: Ihre Lösung?
Julia Klöckner: Eier erst gar nicht ausbrüten lassen, aus denen männlich Küken schlüpfen. Es gibt zwei Technologien. Entweder man prüft mit Lichtwellen oder mit einer Punktion im frühen Stadium im Ei das Geschlecht des Kükens. Das wird die Zukunft sein. Eine große deutsche Supermarktkette hat bereits angekündigt, noch in diesem Jahr nur noch Eier aus diesen neuen Produktionsverfahren in ihre Supermärkte zu bringen.
Frage: Sie haben zuletzt den Konflikt mit PETA--People for the Ethical Treatment of Animals gesucht. Die Organisation hat Missstände bei Tierhaltern aufgedeckt – allerdings auf kriminellem Weg. Die Aktivisten waren dazu in Ställe eingebrochen. Diese Art der Beweissicherung ist sicher problematisch, aber wie wollen Sie die Einhaltung der Tierschutzgesetze kontrollieren?
Julia Klöckner: Zunächst einmal: Es gibt in Deutschland klare Tierschutzregeln und die müssen eingehalten werden. Leider halten sich nicht alle daran. Das muss bestraft werden. Und dazu gibt es in den Ländern die entsprechenden Kontrollstellen. Es ist ihre Aufgabe, genau hinzusehen. Es wurden zurecht ja bereits Betriebe geschlossen, die ihre Tiere gesetzeswidrig behandelt haben. Deshalb ist es wichtig, das die Länder die Tierschutzkontrollen entsprechen personell ausstatten. Die Lösung kann ja nicht eine selbsternannte Polizei von Tierrechtsaktivisten sein, die ein Unrecht durch ein anderes Unrecht ahnden und Selbstjustiz betreiben wollen. PETA geht sogar soweit, dass sie Agrarministerinnen auf sogenannte "Abschusslisten" setzt. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Damit leistet man dem Tierschutz einen Bärendienst.
Frage: Sie wollen ein freiwilliges Tierwohllabel einführen. Wann ist damit zu rechnen?
Julia Klöckner: Die Verbraucher wollen immer mehr wissen, woher ihre Lebensmittel, ihre Mittel zum Leben, kommen. Das finde ich gut. Sie wollen aber nicht nur wissen, wo das Gemüse angebaut wird, sondern auch, wie die Tiere gehalten werden. Und Tierwohl ist eine ethische Frage, weil Tiere keine Wegwerfware sind, wir müssen mit ihnen respektvoll umgehen. Deswegen möchte ich eine Tierwohlkennzeichnung, die erkennbar macht, ob jemand über dem gesetzlichen Standard arbeitet. Mein Ziel ist ein für den Verbraucher klar erkennbares Label mit verbindlichen Kriterien. Wer mitmacht, muss sich einer Überprüfung dieser Kriterien stellen.
Frage: Wer legt die Kriterien fest?
Julia Klöckner: Da sind wir im Moment dran. Wir sind dazu im engen Dialog mit Fachleuten und Lebensmittelherstellern, aber auch mit Tierschutz- und mit Verbraucherorganisationen. Konkret geht es um Dinge wie Platz oder Beschäftigungsmöglichkeiten eines Tieres. Ich möchte eine verlässliche Verbraucherorientierung.
Frage: Müssen Sie sich nicht beeilen? Die Lebensmittelketten etablieren unter dem Druck der Verbraucher eigene Labels, weil sie auf die Politik nicht mehr warten wollen.
Julia Klöckner: Nein, das sehe ich ganz anders. Im Gegenteil: Sie tun es, weil sie wissen, das ich ein staatliches Label einführen werde. Reden wir mal Tacheles. Da bewerben Discounter in der Grillsaison Fleisch zu Dumpingpreisen und wollen uns dann erzählen, ihnen ginge es um das Tierwohl? Ich finde Lockangebote mit Dumpingspreise für Fleisch nicht anständig.
Frage: Betriebe, die das Label anstreben, werden Geld investieren müssen. Ist eine Förderung möglich?
Julia Klöckner: Ja, das plane ich. Dadurch, dass ich eine Kennzeichnung mit verbindlichen Kriterien für die, die das Label nutzen, einführen werde, ist eine finanzielle Förderung auch europarechtlich möglich.
Frage: In Ihrer kurzen Zeit als Ministerin waren Sie sehr aktiv – und sind dabei durchaus auch angeeckt. Wie ist die Rückmeldung aus den Kammern und Verbänden? Freut man sich über die zupackende Julia Klöckner, oder geht man in Deckung?
Julia Klöckner: Es geht ja nicht darum, einen Preis für Sympathie gewinnen. Ich will am Ende an meiner Arbeit, an den Ergebnissen gemessen werden. Ich bin vertragstreu und halte den Koalitionsvertrag ein, ich engagiere mich für gute Rahmenbedingungen für die Land- und Forstwirtschaft, für den Wein-, Gemüse- und Obstanbau. Außerdem möchte ich den Verbraucher sensibilisieren und es ihm erleichtern, eine gute und gesunde Wahl bei seiner Ernährung zu treffen. Dazu bin ich mit allen Beteiligten im Dialog. Und ich freue mich sehr über die große Unterstützung aus allen gesellschaftlichen Bereichen, auch über die innovative Begleitung aus der Landwirtschaft.
Frage: Mit welchem Ergebnis?
Julia Klöckner: Meist gibt es Schlagzeilen bei schwarzen Schafen. Aber ich will deutlich sagen: Kein Landwirt steht morgens auf und sagt sich, dass er die Leute vergiften will. Auch wenn einige Aktivisten werbewirksam sagen, wir haben Euch satt. Bauern antworten: Wir aber machen Euch satt. Unsere Bauern, die packen an, die schaffen. Gerade unsere Landwirte denken in Generationen. Sie wissen, dass es vielleicht im Moment schwierig ist, wenn ich Pflanzenschutzmittel wie Neonikotinoide verbiete. Aber für Übermorgen, für den Enkel, war es grade die richtige Entscheidung.
Frage: Ihr Vorgänger Christian Schmidt (CSU) flog häufig unter dem Radar. Das Landwirtschaftsministerium galt gemeinhin nicht gerade als auffällig. Das hat sich seit Ihrem Antritt geändert. Ihr alleiniger Verdienst?
Julia Klöckner: Das wäre vermessen, das zu behaupten. Wir arbeiten in einem guten Team zusammen, ich habe prima Mitarbeiter. Hinzu kommt, dass ich ja bereits neun Jahre Bundestagsabgeordnete bis 2011 war und auch in meinem jetzigen Ministerium mal Parlamentarische Staatssekretärin. Ich kenne die Themen. Aber sie sind emotionaler und von größerem gesellschaftlichen Interesse geworden, das spreche ich auch öffentlich an: Das Thema Tierwohl, die Nahrungsqualität und der ländliche Raum sind grade sehr im Fokus der Öffentlichkeit.
Frage: Sind Sie die wahre Heimatministerin?
Julia Klöckner: (Lacht) Bei mir hat der ländliche Raum eine Heimat. Ich bin der Meinung jeder Minister muss auch ein Stück Heimatmister sein, schließlich bezahlt uns der deutsche Steuerzahler und wir müssen für die Interessen unserer Heimat Deutschland arbeiten. Mit dem Heimatminister, der unter anderem die Raumplanung dazu koordiniert, arbeite ich gut zusammen.
Frage: Stichwort ländlicher Raum: Mit der Bundesgartenschau bekommt das Mittelrheintal, eine Region, die ums Überleben kämpft, einen gewaltigen Anschub. Ist die Entwicklung solcher Räume darüber hinaus auch Ihre Aufgabe.
Julia Klöckner: Die BUGA gelingt nur als integriertes Konzept, und dazu gehört die Mittelrheinbrücke. Man kann sich nicht mit Blumen schmücken, die von ganz oben gereicht werden, aber die eigenen Dinge nicht regeln. Das sollte die Landesregierung beherzt anpacken und umsetzen, es nicht anderen in die Schuhe schieben. Ländlicher Raum: Dahinter steht das große Thema Stadt versus Land. Wir reden lange und ausführlich über Mietpreisbremsen. Damit sind die Metropolen ständig im Fokus. Aber über Leerstände in vielen ländlichen Regionen wird viel zu wenig gesprochen. Diese unterschiedlichen Lebensverhältnisse sind – und das sehen wir alle – häufig ein Nährboden für Polarisierung.
Frage: Was bedeutet das für politische Konzepte?
Julia Klöckner: Wir brauchen eine Landoffensive. Die ländlichen Räume sind die Kraftzentren unseres Landes. Der Kern ist die Landwirtschaft. Wenn sie stirbt, stirbt auch der ländliche Raum. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb eine Landmilliarde verhandelt. Aber: Es gibt nicht den ländlichen Raum. Deswegen greifen Gießkannenlösungen nicht. Ich möchte den Bürgern vor Ort passgenau Lösungen anbieten, die wir zusammen mit allen Beteiligten entwickeln. Wir schließen dazu einen Pakt mit den kommunalen Spitzenverbänden. Und: Wir werden mit einem Förderprogramm innovative Projekte für ein gutes Leben auf dem Land unterstützen. Mir schwebt auch eine Unterstützung des Ehrenamtes vor.
Frage: Gibt es einen konkreten Ansatz?
Julia Klöckner: Stichwort „Hauptamt fürs Ehrenamt“. Viele viele Vereine sehen sich in der schwierigen Lage, mühsam eine Spitze zu finden. Rechtliche Fragen, Verwaltungshürden oder finanzielle Veratwortlichkeiten und Unsicherheiten oder die Datenschutzrichtlinie sind abschreckend. Wenn wir aber für diese Ehrenamtler hauptamtliche Personen als Ansprechpartner und Berater zum Beispiel in den Kreisverwaltungen hätten, die ich in einem Pilotprojekt finanzieren könnte, wäre das vielen Ehrenamtlichen wirklich hilfreich. Für den ländlichen Raum gibt es jetzt schon Gelder, die die Länder leider nicht abrufen. Allein die rot-gelb-grüne Landesregierung in Rheinland-Pfalz ruft über sechs Millionen Euro aus der sogenannten Gemeinschaftsausgabe nicht ab. Millionen, die dem ländlichen Raum hier in unserem Bundesland entgehen.
Frage: Sie sprechen die Landespolitik an. Die Grundlagen für Landwirtschaft 4.0 werden per Glasfaserkabel verlegt. Wie gut steht das Land bei der Digitalisierung da?
Julia Klöckner: Digitalisierte Landwirtschaft funktioniert nicht, wenn man keinen Empfang hat. Ich wünsche mir, dass die Landesregierung aktiv und koordiniert vorgeht beim Thema Breitband. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Selbst angepackt haben bereits einige Kommunen. In der VG Rüdesheim hat der Bürgermeister zum Anbieter gesagt: "Ihr bekommt unsere Filetstücke nur, wenn ihr dahinter auch das Rippchen versorgt." Dort wurde der Cluster-Ausbau sozusagen erfunden, damit keiner liegen bleibt ohne Anschluss. Ich biete der Landesregierung die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Bund an, es gibt viele Gelder, man muss aber auch zugreifen.
Quelle: Rhein-Zeitung vom 28. Mai 2018
Fragen von PeterBurger, Manfred Ruch und Carsten Zillmann