"Ein vertrauenswürdiges, verlässliches staatliches Kennzeichen gibt dem Verbraucher endlich verbindliche Orientierung."

Bundesministerin Julia Klöckner im Interview mit der Allgemeinen Zeitung

Frage: Frau Klöckner, Sie sind bald ein Jahr im Amt. Schon den Wechsel nach Berlin bereut?

Bundesministerin Klöckner: Ich leite eines der interessantesten Ministerien, das Lebensministerium. Hier geht es um unser aller Grundlagen, um den Boden und die Lebensmittel, um den Wald, die Artenvielfalt, das Tierwohl, um ländliche Räume.

Frage: Mit mächtigen Interessenvertretungen im Hintergrund. Was sagen Sie zu Vorwürfen, Sie seien im Grunde nur Agrarlobbyistin?

Bundesministerin Klöckner: Dem Allgemeinwohl bin ich verpflichtet, keiner Interessengruppe. Landwirte sind verständlicherweise nicht glücklich über meine Entscheidung, dass ich bienenschädliche Neonikotenoide verboten habe oder den Einsatz des Unkrautvernichters Glyphosat beschränken werde. Es ist aber notwendig. Im Übrigen ist jeder, der Interessen vertritt, Lobbyist – von Umweltaktivisten bis hin zu Zeitungsverlegern. Die Bauern aber mit ihren Anliegen sofort in der Öffentlichkeit abzustempeln, mag zwar angesagt sein, ist aber nicht fair.

Frage: Gab es auch Beschwerden der Bauern wegen des Tierwohllabels für Schweinefleisch? Das ist doch freiwillig.

Bundesministerin Klöckner: Wer mit dem staatlichen Siegel für mehr Tierwohl werben und einen Verkaufsvorteil haben will, muss verpflichtende Kriterien einhalten, die überprüft werden. Wie beim Biosiegel kann aber keiner verpflichtet werden, bei höheren Standards
mitzumachen. Verpflichtet ist man zur Einhaltung des gesetzlichen Standards. Parallel setze ich mich für eine gemeinsame europäische Reglung für mehr Tierwohl ein.

Frage: Tatsächlich wird es mit Ihrem neuen Tierwohlsiegel noch unübersichtlicher an der Fleischtheke, zumal große Discounter ein eigenes System auf den Weg bringen.

Bundesministerin Klöckner: Im Gegenteil. Ein vertrauenswürdiges, verlässliches staatliches Kennzeichen gibt dem Verbraucher endlich verbindliche Orientierung. Denn der Preis sagt nichts aus über das Tierwohl. Wer aber mit "mehr Tierwohl" wirbt, muss vom Staat definierte höhere Standards einhalten. Beginnen werden wir mit Schweinefleisch, dann folgen Geflügel und Rind.

Frage: Es gibt Forderungen: Macht es doch ähnlich wie bei den Eiern – dort wird zwischen Freilandhaltung, Bodenhaltung, Käfighaltung unterschieden, was sich bezahlt macht.

Bundesministerin Klöckner: Bei einer Haltungskennzeichnung wie beim Ei dürfen Sie schon werben, wenn Sie nur den gesetzlichen Mindeststandard einhalten. Mein Anspruch ist höher. Das Tierwohlsiegel soll mit einem Blick helfen zu erkennen, wo höhere Standards eingehalten werden, wie beim Biosiegel. Deshalb nehmen wir beim Schwein die gesamte Lebensspanne, nicht nur die Haltung im Stall in den Blick. Es geht um die Ferkelaufzucht, welches Futter die Tiere bekommen, wie viel Platz sie haben, welche Beschäftigungsmöglichkeiten, die Art der Schlachtung, den Transport.

Frage: Die Grünen kritisieren: Bei einem 110 Kilo schweren Schwein wächst in der ersten Stufe des Tierwohllabels der Platz von 0,75 auf 0,9 Quadratmeter. Der Zuwachs entspräche einem aufgeklappten Pizzakarton.

Bundesministerin Klöckner: In der ersten Stufe muss es 20 Prozent mehr Platz geben, in der zweiten und dritten Stufe mehr. Schon die erste Stufe bedeutet für den Landwirt in der Praxis: Jedes fünfte Schwein muss raus aus dem Stall. Das kostet mehr Geld, das der Verbraucher bereit sein muss, an der Ladentheke zu zahlen.

Frage: Die Möglichkeit zur betäubungslosen Ferkelkastration wurde um zwei Jahre verlängert. Ist das nicht ein Zurückweichen vor der Bauernlobby?

Bundesministerin Klöckner: Deutscher Bundestag und Bundesrat haben zusammen die Verschiebung beschlossen. Begründung: Verbraucher mögen kein Schweinefleisch mit Ebergeruch oder geimpftes Schweinefleisch zur Unterdrückung der Hormonbildung. Das Problem: Bisher war das Narkosemittel Isofluran zur Vollnarkose noch nicht zugelassen. Das habe ich in Angriff genommen und fördere zudem die Bereitstellung von Narkosemasken. Nun sind im Sinne des Tierschutzes Sachkundeschulungen für Landwirte für die Anwendung notwendig. Die zweijährige Übergangszeit wird dazu genutzt. Danach wird es keine Fristverlängerung mehr geben.

Frage: Ein weiterer Kritikpunkt ist eine zu lasche Zucker-Reduktionsstrategie in Fertigprodukten.

Bundesministerin Klöckner: Umfragen zeigen: 99 Prozent der Befragten sagen, das Wichtigste beim Essen sei, dass es schmeckt. Dann: Es soll gesund sein. Wir müssen beides hinbekommen. Wenn man gesetzlich festlegen wolle, 50 Prozent Zucker muss überall raus, dann hat man die Rechnung ohne den Verbraucher gemacht. Ich möchte, dass die Produkte gesünder werden, durch Innovation und Forschung. Ein Beispiel: Sie können gesetzlich eben nicht festschreiben, wie viel weniger Fett im Kreppel sein soll, da geht es um Konsistenz und Haltbarkeit und eben den Geschmack. Mit dem Max-Rubner-Institut haben wir jedoch eine Methode entwickelt, dass der Kreppel beim Backen viel weniger Fett aufnimmt, aber genauso schmeckt wie üblich. Wir sind mit Forschungsprojekten auch dabei, aus der Zuckerrübe einen kalorienärmeren Zucker herzustellen. Diese Ergebnisse kann man natürlich nicht mit einem starren Gesetz vorwegnehmen.

Frage: Warum keine Zuckersteuer für Limonade wie in anderen Ländern oder eine Ampelkennzeichnung für Zucker, Fett und Salz?

Bundesministerin Klöckner: Über eine Steuer erreichen Sie nicht automatisch eine bessere Ernährung. Aber mit einem ganzen Maßnahmenbündel, wie wir es mit der Reduktions- und Innovationsstrategie machen. Und zur sogenannten Ampel für Zucker, Fett und Salz: Selbst die Verbraucherzentralen sind davon abgerückt, weil sie gar nicht für Klarheit sorgt, gerade wenn alle drei Farben gleichzeitig auf einem Produkt leuchten. Eine Ampel, die alle drei Farben im Straßenverkehr anzeigt, sorgt auch für Verwirrung. Übrigens ist das französische Nutriscore-System etwas anders als die Ampel. Mir ist eine Kennzeichnung wichtig, die dem Verbraucher auf einen Blick eine bessere Orientierung gibt.

Quelle: Allgemeine Zeitung, vom 04. März 2019

Fragen von Markus Lachmann

Erschienen am im Format Interview

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