Für alle in der Lebensmittelkette braucht es faire Bedingungen

Auszüge aus dem Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland"

Frage: Was machen Sie anders als Ihre Vorgängerin Julia Klöckner?

Cem Özdemir: In meinem Haus wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen, umsetzen, verändern. Entscheidungen wurden bisher von der Führung ausgesessen – aus Angst vor Gegnern, aber auch vor der eigenen Partei. So läuft das mit mir nicht. Wir müssen am großen Rad drehen.

Frage: Kurz vor der Bundestagswahl hat die EU für die nächsten sieben Jahre die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) festgelegt. Die Grünen haben sie als zu wenig weitreichend kritisiert. Was können Sie jetzt noch tun?

Cem Özdemir: Ich habe diese Reform leider geerbt und kann das erst mal nicht ändern. Es ist bedauerlich, dass die Agrarzahlungen weiterhin vor allem den Landbesitz belohnen statt Leistungen für den Umwelt- und Klimaschutz. Das ist nicht mein System, das können Sie mir glauben. Blockiert habe ich es dennoch nicht, weil die Bäuerinnen und Bauern jetzt Planungssicherheit brauchen. 2024 werden wir es jedoch mit Blick auf die Zielerreichung überprüfen und anpassen sowie ein Konzept für die nächste Agrarreform erarbeiten. Unser Ziel ist es, dass es Finanzierung aus öffentlichen Kassen dann nur noch für öffentliche Leistungen gibt. Landwirtinnen und Landwirte müssen mit Umwelt-, Tier- und Klimaschutz Geld verdienen können, als verlässliche Einkommenssäule.

Frage: Über die Agrarpolitik haben sich mehrere Kommissionen Gedanken gemacht. Die Borchert-Kommission hat vorgeschlagen, Landwirten Umbaukosten für Arten- und Klimaschutz zu bis zu 90 Prozent zu erstatten. Das kostet drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Ist das der richtige Weg?

Cem Özdemir: Wenn wir Strukturreformen wollen, müssen wir die Landwirtinnen und Landwirte finanziell unterstützen. Es kostet nun mal viel Geld, einen Stall umzubauen. Kein Bauer steht morgens auf und sagt, er will Tiere schlecht halten oder Nitrat im Boden und im Grundwasser haben. Es sind die Strukturen, die das bislang erzwingen – und die wir ändern wollen. Im Vergleich zu den Summen, die wir in der Automobilindustrie aufwenden für die Transformation vom fossilen Verbrenner zur emissionsfreien Mobilität, ist der Unterstützungsbedarf der Landwirtschaft relativ bescheiden.

Frage: Der Agrar-Etat muss also wachsen? Oder sollen die Verbraucher über eine Tierwohlabgabe helfen, wie Julia Klöckner sie vorgeschlagen hatte?

Cem Özdemir: Vieles ist denkbar. Zum Nulltarif ist eine soziale und ökologische Neuausrichtung der Agrarpolitik jedenfalls nicht zu haben. Wenn wir es ernst meinen, dann müssen wir auch die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Darüber werden wir Gespräche führen.

Frage: Die Auseinandersetzungen über die Agrarpolitik waren oft sehr lautstark, Treckerdemos inklusive. Wie werden Sie damit umgehen?

Cem Özdemir: In einer Demokratie kann man Regierungshandeln infrage stellen, kritisieren und gerne auch mal polemisch werden. Das muss man aushalten. Wichtig ist, dass man dabei respektvoll miteinander umgeht und dass das Privatleben der Leute draußen gehalten wird. Für politische Auseinandersetzungen sind drei Dinge entscheidend: Zuhören. Nicht glauben, dass man alles besser weiß. Und unterschiedliche Interessen zusammenbringen. Das ist mein Weg.

Frage: Bei den Lebensmittelpreisen ist auch der Handel im Spiel. Was schwebt Ihnen da vor?

Cem Özdemir: Die großen Player dürfen nicht mehr länger die Preise diktieren und Margen optimieren. Für alle in der Lebensmittelkette braucht es faire Bedingungen. Wir wollen dafür unter anderem die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle im Bundeskartellamt stärken, weiter gegen unlautere Handelspraktiken vorgehen und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann.

Frage: Das Containern, also das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern, ist strafbar. Wollen Sie das ändern?

Cem Özdemir: Ja, das finde ich schon ziemlich absurd. Wir wollen die Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Feld bis zum Handel – reduzieren. Es hat sich gezeigt, dass es nicht reicht, auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen, wie es die Vorgängerregierung gemacht hat. Gerade im Handel geht es um die Erleichterung von Spenden, damit nicht mehr so viel weggeworfen wird. Dafür sind haftungs- und steuerrechtliche Fragen zu klären: Die Angst vor zivilrechtlichen Klagen ist für viele Unternehmen ein Hemmschuh. Und es könnte helfen, wenn die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch dann wegfällt, wenn die Ware beispielsweise falsch etikettiert ist. Das mache es für den Handel attraktiver, sie zu spenden anstatt wegzuwerfen.

Frage: Im Januar ist es bei der Eier-Produktion in Deutschland verboten, männliche Küken zu töten. Tierschützer wünschen sich weitergehende Regelungen, etwa auch für Eier, die als Zutaten verwendet werden. Ist das denkbar?

Cem Özdemir: Es ist höchste Zeit, dass das Verbot kommt. Die Vorgängerregierung hat da mehrere Fristen gerissen. Wie es mit der Eierkennzeichnung weitergeht, werden wir prüfen. Ich halte eine Ausweitung auf verarbeitete Produkte durchaus für sinnvoll.

Frage: Ende 2022 läuft in der EU die Zulassung des Pestizids Glyphosat aus. Der Herstellerantrag auf Verlängerung ist gestellt.

Cem Özdemir: Wir wollen Glyphosat 2023 vom Markt nehmen. In der EU suchen wir nach Verbündeten, damit die Zulassung nicht verlängert wird. Viele sehen die Anwendung von Glyphosat problematisch.

Frage: Der Agrarminister war bisher der klassische Gegner des Umweltministers oder der Umweltministerin. Nun sind beide Häuser in grüner Hand. Wie läuft das künftig?

Cem Özdemir: Steffi Lemke und ich haben einen engen Draht zueinander und ein gemeinsames Ziel. Wir haben uns vorgenommen, dass unsere Ministerien befreundete Häuser sind, so wie es beim Fußball Fan-Freundschaften gibt. Wir werden Dinge nur bewegen können, wenn sich Umwelt- und Landwirtschaftspolitik künftig nicht mehr blockieren. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn zwei Grüne vier Jahre damit verbringen, sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen. Dann verlieren alle.

Frage: Haben Sie eigentlich auch einen persönlichen Zugang zur Landwirtschaft, ein Bauernhoferlebnis?

Cem Özdemir: Die Eltern meines Vaters waren Landwirte. Dort, in der Türkei, bin ich früher immer in den Sommerferien gewesen. Und nun, viele Jahre später, schließt sich der Kreis. Mein Vater hat als Kind bittere Armut und Hunger erlebt. Er ist als Arbeiter nach Deutschland gekommen. Den Respekt vor harter Arbeit habe ich früh gelernt. Und ich bin in Baden-Württemberg in einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen, da ist einem die Landwirtschaft auch nicht so ganz fremd.

Frage: Die Grünen haben 2013 richtig Ärger bekommen, als Sie im Wahlprogramm einen Veggie-Day für Kantinen gefordert haben. Trauen Sie sich da nochmal ran?

Cem Özdemir: Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr überzeugter Vegetarier. Das musste ich mir hart erkämpfen, denn mein Vater hatte dafür kein Verständnis. Ich bin also unverdächtig, da ein Softie zu sein. Aber: Wer wann was isst, geht den Minister für Ernährung und Landwirtschaft und die Bundesregierung nichts an. Allerdings sollte es in Kantinen auch Auswahl geben, also auch ein gutes vegetarisches und veganes Angebot. Im Übrigen glaube ich, dass die Gesellschaft da inzwischen viel weiter ist, als manche meinen. Wir retten die Welt nicht dadurch, dass wir an einem Tag in der Woche vegetarisches Essen propagieren, sondern indem wir dafür sorgen, dass wir künftig etwa die Futtermittel nicht mehr aus Südamerika importieren und dafür dort Regenwälder abgeholzt werden. Ich will mich um die Strukturen kümmern. Einkaufen müssen die Leute selber.

Quelle: "Redaktionsnetzwerk Deutschland" vom 31. Dezember 2021

Fragen von Steven Geyer, Daniela Vates

Erschienen am im Format Interview

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