Tierhaltung gehört zu einer nachhaltigen Landwirtschaft
Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit dem "Hohenloher Tageblatt"
Frage: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft betrifft die Tierhalter besonders: Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der tierhaltenden Höfe in Deutschland nahezu halbiert. Welches sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen in der deutschen Tierhaltungsbranche?
Cem Özdemir: Das lässt sich nicht ohne einen Blick zurück erklären. Die Politik der Vergangenheit richtete sich am Prinzip "wachse oder weiche" aus – das meint: immer größere Ställe, mehr Tiere und eine auf den Export ausgerichtete Produktion. Wer da nicht mitmachen konnte oder wollte, den haute es aus der Kurve. Betroffen waren vor allem kleine, oft familiengeführte Betriebe. Da ging auch ein Stück unserer landwirtschaftlichen Vielfalt verloren. Wie leichtsinnig diese Politik war, wurde infolge der Afrikanischen Schweinepest bei uns deutlich, weil das wichtige Asiengeschäft von heute auf morgen wegbrach. Wir haben mittlerweile erreicht, dass zumindest Südkorea wieder deutsches Schweinefleisch kauft. Der bedeutendere chinesische Markt ist aber weiter geschlossen und er wird auch so nicht wiederkommen, weil es in China inzwischen regelrechte Tierfabriken gibt. Zugleich ist der Fleischkonsum bei uns seit Längerem rückläufig, da sich Ernährungsgewohnheiten ändern. Sie sehen, die Herausforderungen sind vielfältig – aber Jammern hilft ja nicht. Wir arbeiten deshalb hart daran, den Tierhaltern wieder Planungssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven zu bieten.
Frage: Wie stehen die Chancen, dass auch in Zukunft Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt?
Cem Özdemir: Ich will, dass es auch künftig gutes Fleisch aus Deutschland gibt. Tierhaltung gehört zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Aber die Rahmenbedingungen haben sich verändert und deshalb braucht es neue Ansätze. Mein Ansatz ist es, Tierwohl und eine wirtschaftliche Perspektive zusammenzubringen. Um die Leistungen von Tierhaltern beim Tierwohl sichtbar zu machen, haben wir das Tierhaltungskennzeichen eingeführt. Und wir setzen auf eine Herkunftskennzeichnung, damit die Verbraucher bewusst die deutsche Landwirtschaft unterstützen können.
Frage: Mehr Platz im Stall, mehr Auslauf, Tageslicht und Frischluft kosten Geld – zu viel Geld für den Landwirt, der für bessere Haltungsbedingungen seinen Stall umbauen muss. Welche Unterstützung gibt es vonseiten der Bundesregierung? Das Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der landwirtschaftlichen Tierhaltung ist hier sicher ein wichtiger Baustein. Wie genau sieht die Förderung aus?
Cem Özdemir: Wenn die Gesellschaft sich mehr Tierwohl wünscht, müssen die Landwirte ihre Ställe umbauen. Diese Kosten kann man den Betrieben nicht einfach so überstülpen, darum unterstützen wir diejenigen, die sich auf den Weg machen. Allein für die Schweinehaltung haben wir zunächst eine Milliarde Euro bereitgestellt – so viel Geld wurde noch nie in die Weiterentwicklung der Tierhaltung investiert. Mit unserem Programm fördern wir sowohl den Stallumbau als auch die laufenden Mehrkosten.
Frage: Profitieren vor allem große Schweinehalter davon oder können auch kleinere Betriebe eine Förderung erhalten?
Cem Özdemir: Die Größe des Stalls spielt bei der Antragsstellung keine Rolle. Wir fördern allerdings nur Betriebe, die sich klar für bessere Haltungsbedingungen entscheiden. Bislang sind 130 Anträge auf investive Förderung in Höhe von insgesamt rund 80 Millionen Euro eingegangen. Das ist nach einem halben Jahr eine ordentliche Zwischenbilanz.
Frage: Eine Milliarde Euro in sechs Jahren im Bundeshaushalt für den Umbau der Schweinehaltung. Das klingt zunächst hoch. Doch reicht die Summe aus?
Cem Özdemir: Für den Anfang reicht das. Wenn wir aber mehr Lebensphasen und weitere Tierarten einbeziehen, braucht es weiteres Geld. Die Diskussionen über ein geeignetes Finanzierungsinstrument laufen bereits. Ich habe immer gesagt, dass ich für jede Idee offen bin. Wichtig ist, dass das Geld bei den Tierhaltern ankommt – da bin ich mir übrigens mit Bauernpräsident Joachim Rukwied sehr einig. Ich finde auch seinen Vorschlag charmant, dafür die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte von derzeit 7 Prozent moderat zu erhöhen. Das wäre schnell umsetzbar, sehr bürokratiearm und würde beim einzelnen Verbraucher kaum ins Gewicht fallen. Doch für unsere Landwirte würden sich ganz neue Perspektiven ergeben.
Frage: Und was ist mit Landwirten, die Rinder, Schafe oder Ziegen halten? Können sie ebenfalls auf staatliche Unterstützung hoffen?
Cem Özdemir: Die Vorgängerregierungen haben den Umbau der Tierhaltung lange angekündigt und sind dann der Reihe nach daran gescheitert, dass sie alles auf einmal wollten. Ich habe mich dafür entschieden, Schritt für Schritt zu gehen. Wir haben jetzt erfolgreich mit der Schweinemast begonnen, darauf können wir nun anknüpfen. An den nächsten Schritten arbeiten wir bereits mit Hochdruck.
Frage: Jochen Borchert (CDU), Vorsitzender des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, in dem Vertreter aus Politik, Verbänden und Wirtschaft sowie Wissenschaftler und Praktiker vertreten sind, rechnet nicht mit einem Erfolg des Bundesprogramms, weil die Förderung jährlich neu beantragt werden muss. Die Borchert-Kommission fordert langfristige Förderzusagen. Was erwidern Sie darauf?
Cem Özdemir: Mit der Tierhaltungskennzeichnung und dem Bundesprogramm greife ich ja die Vorschläge der Borchert-Kommission auf. Allen Unkenrufen zum Trotz bewerben sich immer mehr Höfe um eine Förderung. Dass die Förderung jährlich beantragt werden muss, ist allerdings falsch. Es muss lediglich die Zahl der gehaltenen Tiere jährlich nachgewiesen werden, denn die Förderung richtet sich ja genau danach. Jochen Borchert hat aber recht, wenn er eine längerfristige Förderung anmahnt. Das fordere ich auch. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Hier ist jetzt das Parlament als Haushaltsgesetzgeber in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister gefragt.
Frage: Sie sagen, Tierhaltung ist für eine nachhaltige Landwirtschaft wichtig. Warum?
Cem Özdemir: Seit ich 17 bin, esse ich kein Fleisch mehr. Aber gerade als Vegetarier sage ich: Mein Gemüse braucht Tiere, ihre Ausscheidungen sind bester Dünger. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist eine Kreislaufwirtschaft, in der alles aufeinander aufbaut, und da gehören Tiere selbstverständlich dazu.
Frage: Welche Rolle spielen regionale und biologische Tierhaltungskonzepte in der aktuellen Diskussion?
Cem Özdemir: Es ist doch in jede Richtung nachhaltig, wenn ein Landwirt seine Produkte direkt in der Region vermarkten kann. Das verringert Abhängigkeiten, ist mit Blick auf unsere Ernährungssicherheit weniger krisenanfällig und eröffnet wirtschaftlich planbare Perspektiven.
Frage: Wie ist das bei Ihnen zu Hause, gibt es da Fleisch? Achten Sie auf Herkunft, Tierwohl oder biologische Erzeugung?
Cem Özdemir: Wenn wir gemeinsam essen gehen, isst jeder, was er möchte. Mein Sohn gerne und viel Fleisch, meine Tochter wenig und möglichst aus artgerechter Haltung und ich bekanntermaßen gar keines. So bilden wir irgendwie die Gesellschaft in ihrer Breite ab (lacht). Ich bin kein Fan davon, den Leuten zu erklären, was sie essen sollen und was nicht – das soll doch jeder selbst entscheiden. Ich empfinde es als übergriffig, wenn man wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder täglich Essensvorgaben raushaut. Wichtiger finde ich es, für die wunderbaren Produkte unserer deutschen Landwirte zu werben.
Quelle: Hohenloher Tageblatt vom 06.10.2024
Fragen von Christine Hofmann