Mehr Vertrauen statt Misstrauen und Kontrollwut
Interview von Bundesminister Alois Rainer mit der "Augsburger Allgemeinen"
Frage: Herr Minister, Ihre Metzgerei in Haibach haben Sie schon früh an Ihren Sohn übergeben. Wann haben Sie denn zuletzt selbst geschlachtet?
Alois Rainer: Das ist 15 Jahre her. Die Metzgerei ist mittlerweile geschlossen
Frage: Aber Sie könnten es noch?
Alois Rainer: Na klar.
Frage: Markus Söder hat bei Ihrer Vorstellung gesagt, dem grünen Vegetarier Özdemir folge nun ein schwarzer Metzger. Wie groß ist dieser Kulturschock denn für das Ministerium?
Alois Rainer: Ich gehe meinen eigenen Weg. Natürlich will ich die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik neu ausrichten, aber im Team. Ich höre mir viele Meinungen an, bringe sie zusammen und treffe dann Entscheidungen. So verstehe ich Politik.
Frage: Aber hat die CSU nicht ein komplett anderes Verständnis von Landwirtschaft als die Grünen?
Alois Rainer: Ich habe ja auch schon häufiger gesagt, dass ich einen neuen Kurs einschlage. Landwirte sollen wieder mehr Zeit für Felder und Höfe haben, statt am Schreibtisch zu ackern. Deshalb steht für mich der Bürokratieabbau ganz oben auf der Agenda. Ich will auch schnell ein anderes Miteinander: Mehr Vertrauen statt Misstrauen und Kontrollwut.
Frage: Gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie für Schlagzeilen gesorgt, weil Sie mehr Fleisch in Schulen und Kitas forderten. Sprach da der Metzger aus Ihnen oder die Sorge, dass in Deutschland eine ganze Generation von Vegetariern und Veganern heranwächst?
Alois Rainer: Weder noch. Ich habe das auch so nie gesagt. Mir geht es um eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Dazu gehören für mich Obst, Gemüse, Fisch, Salat – und auch Fleisch. Aber es liegt mir fern, jemandem vorzuschreiben, was er essen soll. Das wäre vermessen. Wir regieren nicht auf den Tellern der Leute oder in ihre Kühlschränke hinein.
Frage: Wie viel Fleisch essen Sie denn selbst?
Alois Rainer: Wahrscheinlich weniger, als viele glauben. Heute zum Beispiel habe ich noch kein Fleisch und auch noch keine Wurst gegessen. Wenn, dann esse ich gerne gutes Fleisch. Aber ich komme auch ohne aus. Pasta und Salat tun’s auch. Ich versuche einfach, mich gesund und ausgewogen zu ernähren.
Frage: Verbraucher achten beim Fleisch zunehmend auf Qualität und Herkunft. Gleichzeitig verliert man angesichts der vielen unterschiedlichen Siegel, Symbole und Herkunftszeichen allmählich den Überblick. Wäre hier weniger nicht mehr?
Alois Rainer: Ganz im Gegenteil, die staatliche Haltungskennzeichnung schafft Klarheit und Transparenz, deshalb bekennen wir uns im Koalitionsvertrag auch dazu. Aber: Wir wollen sie überarbeiten, um sie praxistauglich zu gestalten und auf das Tierwohl auszurichten. Auch der Handel hat seine vierstufige Haltungskennzeichnung an die fünf Formen des staatlichen Kennzeichens angepasst. Warum sollte ich als Landwirtschaftsminister sagen, das muss weg?
Frage: In Ihrer ersten Bundestagsrede haben Sie angekündigt, sich für mehr Tierwohl einzusetzen. Warum kippen Sie dann ein Gesetz, das das Anbinden von Kühnen vom Jahr 2030 an verbieten wollte?
Alois Rainer: Es gibt kein Gesetz, das ich kippen könnte, denn der Gesetzentwurf meines Vorgängers wurde gar nicht mehr vom Bundestag beschlossen. Ich kann nur sagen: Wir werden uns das Tierschutzgesetz ansehen, in dem die Anbindehaltung geregelt wird. Dabei geht es nicht nur um die ganzjährige Anbindehaltung, sondern auch um die Kombihaltung – zum Beispiel in der Almbewirtschaftung, wo die Tiere im Sommer auf der Alm sind und im Winter im Stall. Da brauchen wir geeignete und für die betroffenen Betriebe praktikable Lösungen.
Frage: Kann es sein, dass sich das Thema irgendwann von selbst erledigt, weil viele kleine Höfe mit alten, nicht mehr zeitgemäßen Ställen ohnehin aufgeben?
Alois Rainer: Die ganzjährige Anbindehaltung ist ein Auslaufmodell. Auch, weil viele Tierhalter bereits in Tierwohlställe investieren. Aber gerade bei der Almbewirtschaftung ist es wichtig, dass wir Lösungen finden. Wir wollen doch, dass Tiere weiterhin auf der Weide gehalten werden. Das ist Tradition und Naturschutz zugleich. Ich bin zuversichtlich, dass wir in der Koalition einen Weg finden – lösungsorientiert und praxistauglich.
Frage: Sie haben angekündigt, den Graben zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft überbrücken zu wollen. Wie soll das konkret aussehen?
Alois Rainer: Ich sage nicht "entweder oder", sondern "sowohl als auch". Wir haben eine sehr gute ökologische Landwirtschaft – aber auch eine starke konventionelle. Beide brauchen Unterstützung. Beide müssen von Bürokratie entlastet werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die eine Seite gegen die andere ausgespielt wird. Der Markt muss beide Systeme tragen.
Frage: Schmeckt Bio-Fleisch eigentlich besser als konventionell erzeugtes?
Alois Rainer: Wie gesagt, ich beteilige mich nicht daran, die eine Seite gegen die andere auszuspielen.
Frage: Ihr Vorgänger wollte eine Tierwohlabgabe einführen: Zehn Cent pro Kilo Fleisch, die dann in Zuschüsse für den Umbau von Ställen fließen. Warum lehnen Sie das so strikt ab?
Alois Rainer: Ich halte nichts von höheren Steuern auf Fleisch. Steuern fließen in den Bundeshaushalt und können für alles Mögliche verwendet werden. Denken Sie an die Sektsteuer: Die gibt‘s noch immer, obwohl sie mal für die kaiserliche Kriegsmarine gedacht war. Ich will, dass sich auch Menschen mit kleinem Einkommen gutes Fleisch leisten können. Wenn wir Fleisch künstlich verteuern, treibt das viele zu Billigimporten mit niedrigeren Standards. Mein Weg ist der der Förderung. Wir haben dafür Programme im Bereich der Schweinehaltung, die will ich ausbauen. Und wir müssen die Planungs- und Genehmigungspraxis verbessern – damit Tierwohlställe überhaupt gebaut werden können. Ich arbeite daran, dafür zusätzliches Geld zu generieren.
Frage: Die Bauern setzen große Hoffnung auf Sie, weil Sie unter anderem einen Abbau der ausufernden Agrarbürokratie und eine Wiedereinführung der Dieselverbilligung versprochen haben. Wann werden die Landwirte das auch auf ihren Schreibtischen und auf ihren Konten spüren?
Alois Rainer: Beim Agrardiesel wollen wir am 1. Januar 2026 zu den alten Regelungen zurückkehren. Außerdem werde ich die Stoffstrombilanzverordnung noch vor der Sommerpause abschaffen.
Frage: Die Stoffstrom... was?
Alois Rainer: Die Stoffstrombilanzverordnung. Man könnte auch sagen, die Doppel-Dünge-Dokumentationsverordnung. Sie verpflichtet Landwirte, extrem detailliert zu dokumentieren, was sie wann und wo auf ihren Feldern ausbringen. Das ist hochbürokratisch und wird von der EU so nicht einmal gefordert. Also weg damit -, und das sehr bald. Wir brauchen schlanke, praxisnahe Regelungen.
Frage: Damit wird es aber hoffentlich nicht getan sein.
Alois Rainer: Es gibt bereits Vorschläge der Länder zum Bürokratieabbau, die ich direkt nach meinem Amtsantritt nochmals in die Prüfung gegeben habe. Fast jeder zweite Vorschlag liegt in der Zuständigkeit meines Ministeriums. Vieles befindet sich bereits in der Umsetzung.
Frage: Können Sie das noch etwas konkreter machen? Wo genau setzen Sie die Axt im Dschungel der Bürokratie noch an?
Alois Rainer: Bürokratie-Dschungel ist das richtige Stichwort. Es gibt zum Beispiel die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten. Diese Verordnung ist für unsere Forstwirtschaft absolut unpraktikabel. In Deutschland gibt es keine Entwaldung, unser nationales Waldgesetz ist da bereits sehr streng. Wenn bei uns größere Flächen gerodet werden, hat das andere Gründe: Borkenkäfer, Sturm, Schneebruch. Und selbst da braucht man Genehmigungen, die sehr schwer zu bekommen sind. Ich will darum in die Verordnung eine "Null-Risiko-Kategorie" aufnehmen. Wer den Wald schützt, darf nicht durch endlose Nachweispflichten entmutigt werden.
Frage: Nach verschiedenen Studien wird sich die Zahl der Bauernhöfe in Deutschland bis zum Jahr 2040 mehr als halbieren – auf nur noch 100.000. Vor allem kleine Höfe geben auf. Lässt sich dieser Trend noch stoppen oder ist er womöglich gar gewollt, weil größere Betriebe effizienter produzieren?
Alois Rainer: Jeder Hof, der aufgibt, weil kein Nachfolger da ist, reißt ein Stück Heimat mit sich. Da verschwindet nicht nur ein Betrieb – es gehen Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum verloren, es bricht soziales Leben weg. Denn es sind oft die Bauernfamilien, die sich auf dem Land ehrenamtlich engagieren: bei der freiwilligen Feuerwehr, im Sportverein oder in der Nachbarschaftshilfe. Das kann doch kein Mensch ernsthaft wollen.
Frage: Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?
Alois Rainer: Wir müssen den Menschen wieder Freude und Perspektive an der Arbeit in der Landwirtschaft vermitteln. Ich zitiere da gern Antoine de Saint-Exupéry: Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit, Holz zusammenzusuchen, Bretter zu schneiden und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in den Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem großen und schönen Meer. So sehe ich das auch: Es geht darum, die Freude an der Arbeit mit Tieren, an der Natur, an der Lebensmittelproduktion wieder zu wecken.
Frage: Also liegt es nicht nur am Geld?
Alois Rainer: Ganz genau. Die Freude an der Selbstständigkeit, das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun – das sind Dinge, die man nicht mit Förderprogrammen allein erreicht, aber mit Wertschätzung. Ohne unsere Landwirtinnen und Landwirte hätten wir nichts zu essen und nichts zu trinken. Deshalb brauchen wir eine starke, ökologische und gleichzeitig nachhaltige konventionelle Landwirtschaft. Wir haben in Deutschland gute Voraussetzungen dafür – jetzt geht es darum, den Menschen, die in dieser Branche arbeiten, auch das Gefühl zu geben: Ihr seid wichtig. Ohne euch hätten wir ein ernstes Problem.
Frage: Hat die Landwirtschaft denn noch genügend Nachwuchs? Oder werden die Klassen in den Landwirtschaftsschulen immer leerer?
Alois Rainer: Die Zahlen steigen wieder. Auffällig ist, dass viele junge Menschen Landwirt werden wollen, obwohl sie gar keinen eigenen Hof zu Hause haben. Das finde ich spannend. Ich erlebe das bei Abschlussfeiern immer wieder: Da sitzen junge Leute, die keinen landwirtschaftlichen Hintergrund haben, sich aber für diesen Beruf entschieden haben – und teilweise dann sogar weiterstudieren, etwa Landwirtschaft oder ökologische Agrarwissenschaften.
Frage: Als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat müssen Sie auch der Anwalt des ländlichen Raums im Kabinett sein. Fallen der Kampf gegen Funklöcher und den Ärztemangel auf dem Land jetzt auch in Ihren Aufgabenbereich?
Alois Rainer: Nein, ganz sicher nicht. Aber Sie sprechen Dinge an, die entscheidend dafür sein können, ob jemand aufs Land zieht oder eben nicht. Ich möchte, dass diese Entscheidung leichtfällt. Dafür braucht es attraktive ländliche Regionen, die lebenswert sind. Entscheidend ist hier die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien. Deswegen werde ich für einen frühzeitigen Austausch zu diesen Themen innerhalb der Bundesregierung sorgen. Heimat ist für mich ein Herzensanliegen. Ich möchte den Begriff nicht auf den ländlichen Raum beschränken. Ich sage immer: Heimat ist da, wo dein Herz schlägt. Und das kann genauso in einem Berliner Stadtteil schlagen wie in einem bayerischen Dorf.
Frage: Wie kann man dieses Gefühl denn politisch stärken?
Alois Rainer: Ich plane viel im Land unterwegs zu sein und den Menschen zuzuhören – das ist mir wichtig. Aber auch zu vermitteln: Unser Land ist nicht so schlecht, wie es oft geredet wird. Wir leben in einem wunderschönen, vielfältigen Land – von der Ostsee bis zum Bodensee, von der polnischen Grenze bis ins Saarland. Jede Region hat ihre eigenen Chancen. Unser Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" macht genau diese positiven Seiten und Entwicklungen sichtbar und ehrt das so wichtige bürgerschaftliche Engagement. Solche Formate will ich wieder stärker fördern.
Quelle: Augsburger Allgemeine vom 17.06.2025
Fragen von Jonathan Lindenmaier und Rudi Wais