In Büsum werden Landärzte nicht länger gesucht, sondern eingestellt

Ärztezentrum Büsum

Ärztemangel auf dem Land ist wahrlich kein neues Phänomen. Neu und hochinteressant ist aber die Lösung, mit der die Gemeinde Büsum versucht, dieses Problem zu bewältigen. Sie beschäftigt Ärzte als Angestellte, bietet ihnen attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen und entlastet sie von Verwaltungsaufgaben und den wirtschaftlichen Risiken, die mit der Eröffnung einer eigenen Praxis verbunden sind.

Büsum ist ein Luftkurort mit knapp 5.000 Einwohnern im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein. Direkt an der Nordseeküste gelegen, ist das Seebad mit seinen Stränden und dem Hafen mit der berühmten Krabbenkutterflotte ein Ort, an dem viele Menschen gerne ihren Urlaub verbringen. Junge Menschen zu finden, die hier als Arzt arbeiten und sich mit einer Praxis niederlassen wollen, gestaltet sich dennoch schwierig.

Und solche wurden dringend gesucht, denn das Durchschnittsalter der fünf in Büsum praktizierenden Hausärzte betrug 2013 63,5 Jahre. Mehrere von ihnen hatten bereits vergeblich versucht, Nachfolger für ihre Praxen zu finden, da es junge Mediziner meist eher in die Städte als aufs Land zieht. Für die Gemeinde Büsum gleich in zweifacher Hinsicht ein Problem. Zum einen gefährdete der sich abzeichnende Ärztemangel die angemessene Gesundheitsversorgung der eigenen Bevölkerung. Zum anderen drohten negative Auswirkungen auf den Tourismus, der hier mit 1,7 Millionen Übernachtungen pro Jahr eine ganz wesentliche Rolle spielt. Schließlich wollen auch Urlaubsgäste sich im Fall der Fälle medizinisch in guten Händen wissen.

Büsum geht neue Wege

Auf Initiative des Kreises Dithmarschen und der kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) planten die Büsumer daraufhin ein zu diesem Zeitpunkt einzigartiges Modellprojekt, um der drohenden Unterversorgung entgegenzuwirken – eine hausärztliche Gemeindepraxis. Die Idee dahinter: die Kommune übernimmt die Trägerschaft der Gemeindepraxis, beschäftigt die zuvor freiberuflich tätigen Ärzte als Angestellte und kümmert sich gezielt um Nachwuchsgewinnung und die Nachbesetzung der Ärztestellen.

Großer Trumpf dabei sind die attraktiven Arbeitsbedingungen. Die Administration, EDV und das Personalmanagement erledigt ein externer Dienstleister. Vor allem aber ermöglicht das neue Modell planbare und familienfreundliche (Teilzeit-)Arbeitszeiten und kommt den Wünschen junger Nachwuchsärztinnen und –ärzte entgegen.

Von der Idee zur Umsetzung

Zunächst kaufte die Gemeinde Büsum das Ärztehaus, in dem bereits zuvor vier Hausärzte ihre Praxis hatten und baute es so um, dass aus vier Einzelpraxen eine Gemeinschaftspraxis wurde, die zum 1. April 2014 ihren Betrieb aufnahm. Ergänzt wurde das Ärztehaus durch einen benachbarten Neubau, der ein im Juli 2016 eröffnetes Gesundheitszentrum beherbergt. 3,6 Millionen Euro nahm die Kommune dafür in die Hand, die KVSH steuerte 160.000 Euro zu den Baukosten und weitere 40.000 Euro für die Erstellung eines Business-Plans bei.

Alleiniger Träger des Ärzte- und des Gesundheitszentrums ist die Ärztezentrum Büsum gGmbh, eine eigens gegründete Tochter der Gemeinde, die die Geschäfte des Ärzte- und Gesundheitszentrums eigenständig führt. Die Ärztezentrum Büsum gGmbh mietet das Ärztehaus von der Gemeinde und vermietet das Gesundheitszentrum an die dort ansässigen Einrichtungen – derzeit eine Physiotherapiepraxis, ein Kurmittelhaus, eine Heilpraktikerin, eine Pflegeüberleitung und eine Apotheke.

Zuschüsse von der Gemeinde erhält die gGmbH keine. Sie soll sich selbst tragen und perspektivisch Gewinne erzielen, um Reinvestitionen, z.B. in neue Geräte, finanzieren zu können. Harald Stender, als Koordinator des Kreises Dithmarschen für die ambulante Versorgung einer der Mitinitiatoren des Projekts, ist optimistisch, dass das trotz kleiner Startschwierigkeiten schon bald gelingt. "Die Bauzeit im laufenden Betrieb und die Störungen durch den Umbau haben wir rückblickend doch etwas unterschätzt", räumt er ein. "Deswegen sind wir im ersten Jahr ein bisschen hinter unserem Plan zurückgeblieben und haben ein Minus von 30.000 Euro gemacht." Schon im zweiten Jahr stand dann aber eine schwarze Null zu Buche.

Die Nachfolge ist geklärt

Die Ärzte jedenfalls sind mit dem neuen Modell durchaus zufrieden. "Für sie ist es natürlich eine große Erleichterung zu wissen, dass sie nicht eines Tages ihre Praxis endgültig abschließen müssen, sondern Nachfolger bereitstehen, die sich weiter um ihre Patienten kümmern", berichtet Harald Stender.

Blick in eine leere Arztpraxis. Büsum Ärztezentrum
Die frisch renovierte Gemeindepraxis nach dem Umbau des Ärztezentrums © Ärztezentrum Büsum gGmbH

Und an potenziellen Nachfolgern besteht kein Mangel. "Es hat mich wirklich positiv überrascht, wie viele Bewerbungen bei uns eingegangen sind", ist Harald Stender erfreut. "Das war ja eines der großen Risiken an unserem Projekt. Dass wir letztlich doch nicht genügend Nachwuchs finden." Die Sorge erwies sich als unbegründet. Zwei neue Ärztinnen wurden bereits eingestellt; mit zwei Weiterbildungsassistenten, die derzeit ihre Facharztweiterbildung in der Praxis absolvieren, stehen weitere potenzielle Nachfolger bereit.

Die Personalgewinnung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor und das A und O bei der Planung einer solchen Gemeindepraxis, wie Harald Stender den vielen Interessenten aus dem ganzen Bundesgebiet mit auf den Weg gibt, die nach Büsum kommen, um sich über das innovative Modell zu informieren.

Erfolgsfaktoren und Hürden auf dem Weg zur Gemeindepraxis

"Das Betreibermodell allein macht es nicht. Das Entscheidende ist, ob man auch die benötigten Ärzte kriegt. Dementsprechend ist das auch die erste Frage, mit der man sich bei der Planung auseinandersetzen muss. Hier spielen natürlich auch die Lage und die Attraktivität eines Ortes eine wichtige Rolle und da haben wir hier in Büsum einfach Glück und einiges zu bieten."

Ein weiterer Faktor, der das Büsumer Ärztezentrum aus Ärztesicht interessant macht, ist sicherlich die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Denn um Management- und Verwaltungsaufgaben müssen sich die Ärzte des Ärztezentrums nicht kümmern. Das erledigt die Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein, mit der ein entsprechender Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen wurde.

Mit dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Pellworm gibt es inzwischen in Schleswig-Holstein einen zweiten Ort, der die Gesundheitsversorgung nach dem Büsumer Modell umgebaut hat. Und auch jenseits der Landesgrenzen ruft die erfolgreiche Umsetzung Nachahmer auf den Plan. So berichtet Harald Stender von einem weiteren ähnlich gelagerten Projekt in Rheinland-Pfalz. Weiteren interessierten Kommunen rät er, neben der Verfügbarkeit interessierter Ärzte auch rechtliche Fragen bereits frühzeitig in den Blick zu nehmen: "Zunächst einmal gilt es herauszufinden, was ich als Kommune überhaupt darf und was nicht. Diese kommunalaufsichtsrechtlichen Fragen sind überall unterschiedlich geregelt und es kostet viel Zeit, sich hier Gewissheit und Planungssicherheit zu verschaffen."

Erschienen am im Format Good Practice

Adresse

Büsum
25761 Büsum, Schleswig-Holstein

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