Wissenschaftlicher Beirat des Ministeriums übergibt Gutachten zur GAP-Bürokratie
Bundesministerin will Vorschläge in die europäische Debatte einbringen
Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, hat gestern die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung, und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) zu einem wichtigen Thema der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) entgegengenommen. Der WBAE hat sich darin mit den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Vereinfachung der künftigen GAP befasst.
Julia Klöckner: "Danke an den Wissenschaftlichen Beirat, der unsere Einschätzung zur bürokratischen Last für Landwirte und Verwaltung bestätigt. Die Gemeinsame europäische Agrarpolitik muss einfacher werden. Für unsere landwirtschaftlichen Betriebe und die Verwaltungen. Das ist eine meine Kernforderungen, wenn es um die GAP nach 2020 geht - derzeit ist sie ein bürokratisches Ungetüm. Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates meines Ministeriums unterstreicht das, analysiert zutreffend Ursachen und Gründe für die derzeitige Komplexität. Und sie gibt Empfehlungen, die wir sehr ernst nehmen für unsere Arbeit. Wir brauchen solche wissenschaftlich basierten Debattenbeiträge, um besser zu werden. Um beispielsweise die technischen, digitalen Möglichkeiten effektiver zu nutzen und administrative Kosten zu minimieren.
Vor diesem Hintergrund habe ich Kommissar Hogan auch ein Eckpunktepapier mit einer Reihe von konkreten Vereinfachungsvorschlägen übermittelt. Die GAP muss schlanker werden, gleichzeitig ergebnisorientierter zum Beispiel in Umwelt- und Klimaschutz. Dafür setze ich mich in Brüssel ein, die Stellungnahme unterstützt mich bei diesem Vorhaben. Dem Wissenschaftlichen Beirat danke ich für seine Arbeit."
Die Stellungnahme "Möglichkeiten, Ansatzpunkte und Grenzen einer Verwaltungsvereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU" hatte Ministerin Klöckner im Rahmen einer Plenumssitzung des WBAE entgegengenommen. Dabei schlug sie vor, dass Gutachten und seine Empfehlungen im Trilog auf europäischer Ebene etwa im Rahmen eines Symposiums zu diskutieren.
Der Beirat spricht die folgenden Empfehlungen aus, um die Verwaltungsbelastung auf ein angemessenes Maß zu reduzieren:
- Derzeitige Misstrauenskultur langfristig durch eine gemeinsame Verwaltungskultur von EU und Mitgliedstaaten ersetzen: Die Verwaltungskooperation zwischen EU und Mitgliedstaaten setzt grundsätzlich eine gemeinsame Verwaltungskultur der Beteiligten voraus. Nur dann ist eine Reduktion der bestehenden Komplexität der Kontrollinstrumente möglich. Das Sanktionssystem sollte durchweg nach der Schwere (Dauer und Ausmaß) und Intentionalität (Vorsatz versus Fahrlässigkeit) des Verstoßes abgestuft werden.
- Allgemeine Verfahrensbestimmungen der GAP entfristen: Die Schaffung von über die Förderperiode fortwirkenden Verfahrensbestimmungen zur GAP befördert die Entwicklung einer Verwaltungs-, Gerichts- und Wissenschaftspraxis, erhöht damit die Rechtssicherheit und vereinfacht dadurch die bestehenden Verfahren.
- EU‐Durchführungsbestimmungen zur GAP reduzieren, kodifizieren und rechtzeitig vorlegen: Eine Reduzierung der Durchführungsbestimmungen auf ein erforderliches EU‐Mindestmaß und eine systematische Zusammenfassung der für die gesamte GAP geltenden europäischen Durchführungsbestimmungen in ein einheitliches Gesetzeswerk würden zur Herausbildung einer Verwaltungs‐, Gerichts- und Wissenschaftspraxis und damit zu mehr Handlungssicherheit führen. Sämtliche Rechtsbestimmungen sollten rechtzeitig vor Beginn einer neuen Förderperiode vorliegen.
- EU-Recht national nur in begründeten Fällen verwaltungsaufwendiger umsetzen: Die nationale finanztechnische Umsetzung einschließlich der Kontrolle sollte möglichst nicht verwaltungsaufwendiger erfolgen, als es das EU-Recht vorgibt. Wenn der Bund oder die Bundesländer Fördermaßnahmen anspruchsvoller programmieren wollen, um eine höhere Zielgenauigkeit und -erreichung zu realisieren, ist abzuwägen, inwieweit dies einen höheren Verwaltungsaufwand rechtfertigt.
- Leistungsabschlüsse und -überprüfungen anhand geeigneter Indikatoren vornehmen statt Regelkonformität der Ausgaben nachzuweisen: Die Mitgliedstaaten sollten der EU nicht mehr die Regelkonformität der Ausgaben nachweisen, sondern Leistungsabschlüsse und -überprüfungen auf der Grundlage geeigneter Indikatoren einreichen müssen. Sollte die EU an dem Nachweis der Regelkonformität der Ausgaben festhalten, sollte die zulässige Fehlerquote von derzeit 2 Prozent angemessen erhöht werden.
- Mitgliedstaatliche Verwaltungskosten berücksichtigen und reduzieren: Die EU sollte bei der Prüfung der Effizienz der Kontrollinstrumente überschlägig die Kontroll- und Sanktionskosten der mitgliedstaatlichen Verwaltungen einbeziehen. Bund und Bundesländer sollten die bestehenden nationalen Vorgaben an das agrarspezifische Verwaltungsverfahren, aber auch die allgemeinen Vorgaben des Zuwendungsrechts und der Haushaltsordnungen auf ihre Erforderlichkeit überprüfen und insbesondere Redundanzen bei den Kontrollen vermeiden.
- Single-Audit-System einführen: Im organisationsrechtlichen Sinne sollte ein Single‐Audit‐System zur Verwaltungsvereinfachung eingeführt werden. Die damit einhergehende Reduktion der Kontrolldichte ist auch ohne wesentliche Einschränkung der Grundsätze der Haushaltsdisziplin der EU realistisch und innerhalb der verfassungsrechtlich definierten Grenzen möglich.
- Durch angemessene Bagatellgrenzen Verwaltungsaufwand reduzieren: Geringfügige Rechtsverstöße, die nur eine vergleichsweise geringe Finanzwirkung haben, und geringfügige Flächenabweichungen sollten als Bagatellverstöße gewertet werden. Die Festsetzung der Bagatellgrenzen bzw. der unbeachtlichen Abweichungen sollte den Mitgliedstaaten innerhalb eines europaweit festgesetzten Rahmens überlassen werden.
- Digitale Technologien verstärkt nutzen: Insbesondere für flächenbezogene Maßnahmen sollten bestehende Daten wie auch digitale Technologien stärker als bisher als Grundlage für die Maßnahmengestaltung, -beantragung, -bescheidung und -kontrolle verwendet werden.
- Vertrauensgrundsatz im Vergleich zum Gesetzmäßigkeitsprinzip aufwerten: Die bisherige Nachrangigkeit des Vertrauensgrundsatzes im Verhältnis zum Gesetzmäßigkeitsprinzip sollte durch einen abgewogenen Ausgleich zwischen beiden Grundsätzen modifiziert werden.