"Ohne eine funktionierende, lebensmittelliefernde Landwirtschaft ist keine Stabilität, ja kein friedliches Zusammenleben möglich"
Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner anlässlich der Eröffnung der 84. Internationalen Grünen Woche 2019
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
Willkommen bei der Branche, wo Zukunft wächst. Dort, wo die Grundlagen unseres Lebens erzeugt werden. Bei der Land- und Ernährungswirtschaft.
Die Nahrungsmittelproduktion hat sich über die vielen Jahrzehnte hinweg verändert. Sie ist moderner, technisierter, digitaler, vernetzter, globaler, rückverfolgbarer geworden. Und gleichzeitig sind die Erwartungen an Erzeuger und Erzeugung gestiegen. Die Verbraucher sind kritischer geworden mit Blick auf den Umwelt- und Klimaschutz, auf die Ressourcenschonung, auf den Verbraucher- und den Tierschutz.
Ich meine: Die Branche kann und sollte sich transparent und selbstbewusst diesem Dialog stellen.
Wertschätzung kann nur dort wachsen, wo Wissen ist. Wissen über das, was der Beruf des Landwirts im Stall, auf dem Acker und im Keller ausmacht, was geleistet wird.
Noch nie waren unsere Bauern so gut ausgebildet wie heute. Noch nie waren die Messmethoden so genau wie heute. Lebensmittel noch nie so kontrolliert, hochwertig und erschwinglich wie heute. Und so kann diese Messe getrost ein realistisches Schaufenster dieser gewachsenen Vielfalt und Entwicklung des Sektors sein.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Anziehung ist ungebrochen. So viele Aussteller wie nie zuvor sind nach Berlin gekommen.
Und ich bin mir sicher: Die verbraucherstärkste Messe der Hauptstadt wird auch in diesem Jahr wieder Jung und Alt in ihren Bann ziehen. Denn eines haben wir alle gemeinsam: Wir müssen essen und trinken. Und unsere Mittel zum Leben, die fallen nicht vom Himmel. Es braucht gute Ressourcen und den Einsatz der Landwirte und der ganzen Lebensmittelbranche, damit wir unser täglich Brot auf dem Tisch haben.
Für rund zehn Tage werden diese Messehallen für mein Ministerium und mich so etwas wie unser dritter Dienstsitz sein. Die deutsche Bundesregierung und im Besonderen wir als Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft begleiten die wichtigste Leistungsschau unserer Land- und Ernährungswirtschaft - inklusive aller Debatten um das richtige Wirtschaften, um Erwartungen und Machbarkeit, um Zukunft und Erfahrung.
Deshalb freue ich mich sehr, dass wir heute gemeinsam hier sind, um diese einzigartige Messe zu eröffnen.
Landwirtschaft ist nicht irgendeine Branche, sondern besonders, weil sie Lebenswirtschaft ist. Und damit ist sie Grundlage für politische Stabilität und Sicherheit. Ein guter Boden, ein gutes Stück Land, ist wertvoll. Denn der Boden, die Landwirtschaft, liefert unsere Mittel zum Leben – ohne die alles andere nichts wäre.
Hier in Deutschland, in Europa erleben die Verbraucherinnen und Verbraucher das nicht mehr so unmittelbar.
Selbst in Zeiten der Dürre, unter der viele, die heute hier sind, im vergangenen Jahr besonders gelitten haben, selbst in diesen Zeiten, wenn bei uns die Scheunen fast leer bleiben, bleiben die Regale im Supermarkt dennoch voll.
In anderen Regionen unserer Welt ist das anders. Wenn dort die Böden nichts hergeben, hungern die Menschen. Und hungrige Menschen kämpfen um das Überleben. Wir alle wissen: Ein hungriger Magen findet keinen Frieden.
Ohne eine funktionierende, lebensmittelliefernde Landwirtschaft ist keine Stabilität, ja kein friedliches Zusammenleben möglich.
Auch wenn uns das zu selbstverständlich scheint. Ich meine, gerade in den Zeiten ist es notwendig, den Wert der Landwirtschaft vor Augen zu führen, in denen landwirtschaftliche Familien nicht selten pauschal für alles verantwortlich gemacht werden: für den Klimawandel, für das Insektensterben, für Nahrungsmittelskandale, für mangelnden Respekt im Umgang mit Tieren.
In Zeiten, in denen aber auch die Verlockung groß ist, das reflexhaft alles abzutun als unsachliche Angriffe.
Land- und Ernährungswirtschaft haben sich verändert. Wir wissen immer mehr um die Notwendigkeit von neuen Ackerbau- und Nutztierhaltungsstrategien zur nachhaltigen Erhaltung der lebenswichtigen Ressourcen.
Die Verbraucher brauchen die Landwirtschaft, und die Bauern brauchen die Kundschaft. Zeichnen wir ein realistisches Bild!
Landwirtschaft hängt noch zu sehr in verklärenden, romantischen Bildern fest. Für viele ist sie eine Sehnsuchtsprojektionsfläche. Während selbstfahrende Laster und zunehmende Technik die Menschen begeistern, soll die Bäuerin noch immer mit der alten Milchkanne über den Hof hüpfen. Heile Welt - aber mit höchsten Ansprüchen an sie.
An was denken Sie, an was denke ich, wenn ich mir die Landwirtschaft im Jahr 2030 vorstelle?
Natürlich an Nahrungsmittel und Genuss, an Verantwortung für Tier und Umwelt, an Landschaft und starke ländliche Räume, an Heimat. Aber mit weiterentwickeltem Hightech auf dem Acker und im Stall. Das erleichtert dem Bauern die Arbeit.
Roboter überall auf dem Feld werden selbstverständlich sein, die Datenübertragung verläuft direkt von der Ackerfurche in die Cloud, ins Supermarktregal bis auf den Teller des Verbrauchers.
Moderne Höfe setzen auf Präzisionslandwirtschaft, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, weil Maschinen passgenau Nutzpflanze und Schädling erkennen, passgenau aufs Blatt Pflanzenschutzmittel auftragen und ohne Streuverluste düngen.
Das ist nicht weit weg von heute. Schon jetzt gibt es den digitalisierten Stall mit Melkrobotern, Tierwohlmessung und Vernetzung aufs Handy des Bauern. Dazu gehört aber vor allem die schnelle, flächendeckende Anbindung ans schnelle Internet - digitale Autobahn statt Schotterpiste! Ein wesentlicher Standortfaktor. Weil die Milchkanne von gestern heute eben der Melkroboter ist.
Ich freue mich sehr, dass rund 70 Amtskollegen aus allen Erdteilen meiner Einladung zum "Davos der Landwirtschaft", zum Global Forum for Food and Agriculture im Rahmen der Internationalen Grünen Woche gefolgt sind.
Wir werden uns am Wochenende - zusammen auch mit der Bundeskanzlerin - über den Weg der Digitalisierung in der Ernährungs- und Agrarwirtschaft unterhalten und uns abstimmen, weltweit. Es geht um Datenfragen, um Standards und Datenschnittstellen.
Natürlich fragt sich auch der Landwirt, wem gehören die Daten von meinem Traktor und von meinem Feld - dem Staat, dem Maschinenhersteller? Das müssen wir beantworten und am besten gemeinsam regeln.
Eine moderne und digitalisierte Landwirtschaft bietet weltweit das Potential und die Chance, effizienter und zugleich ressourcenschonender zu produzieren und so mehr Menschen satt zu machen. Das gibt Perspektiven in den Heimatländern und ist ein Beitrag auch zur Fluchtursachenbekämpfung.
Bis zum Jahr 2050 wird unsere Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen gewachsen sein. Aktuell hungern 821 Millionen Menschen auf unserer Welt. Zwei Milliarden Menschen sind mangelernährt. Das ist beschämend!
Das Recht auf Nahrung bekommen wir mit Sicherheit nicht durch einen Teilausstieg aus der Landwirtschaft umgesetzt. Der entscheidende Schlüssel für die Sicherung der Welternährung liegt in einer leistungsfähigen, lokal angepassten, nachhaltigen Landwirtschaft. Und sie liegt in der Entwicklung wirtschaftlich aktiver ländlicher Räume.
Die Grüne Woche ist der Ort, an dem wir Landwirtschaft erklären und für sie werben können. Wir können den Dialog, das Gespräch suchen. Wir können aber auch zuhören. Weil hier die Landwirtschaft auf die Gesellschaft trifft. Auf über 400.000 Gäste.
Liebe Branchenvertreter, lassen wir uns diese Chance nicht entgehen: Erklären wir – offen und verständlich – und ohne Verklärungen. Und leisten wir unseren Beitrag, dass gesellschaftliche Debatten sich wieder mehr an der Sache, an wissenschaftlichen Daten und Fakten orientieren und weniger an der Gesinnung, an schwarz-weiß Bildern. Begegnen wir den allzu schlichten Einteilungen "hier die Guten", "da die Schlechten".
Hier geht es nicht um öko gegen konventionell, sondern um ein gemeinsames Vorankommen im Sinne aller, auch im Sinne der nachkommenden Generationen. Denn nur gemeinsam sind wir Landwirtschaft: Groß und Klein, öko und konventionell. Mit allen Chancen, allen Herausforderungen.
Und benennen wir auch offen die Zielkonflikte, die es gibt - wer Ernten sichern und ansprechendes Obst und Gemüse im Regal finden will, der muss Pflanzen gesund halten und sich weiterentwickeln können, der sollte sich nicht von vornherein ideologisch der Forschung versperren. Auch im Sinne derer, die in agrarisch benachteiligten Regionen dieser Welt leben und hungern.
Lassen Sie uns aber auch betonen, dass Landwirtschaft Wirtschaft ist und Erfolg haben muss, wenn die junge Generation am Ball bleiben soll. Es geht auch, aber nicht nur, um die Pflege der Landschaft.
Lassen Sie uns zeigen, dass wir eine Landwirtschaft in Bewegung, eine Landwirtschaft für die Zukunft sind. Und suchen wir das Verbindende, nicht das Trennende.
Gerade in Zeiten, in denen wir erleben, wie Großbritannien mit dem Brexit ringt.
Ich bedauere das Ergebnis der jüngsten Abstimmung. Bürger und Regierungen in der EU-27 wollen keinen harten BREXIT. Allerdings wird die Zeit immer knapper. In jedem Fall brauchen wir Klarheit vor den Europawahlen Ende Mai.
Wir sind bereit zu helfen und daran zu arbeiten, dass Großbritannien ein integraler Bestandteil Europas bleibt. Vorrang hat aber der Zusammenhalt der EU und die Weiterentwicklung des europäischen Projekts, die Integrität des Binnenmarktes und der Frieden in Nordirland. Und auch hier gilt: Wer miteinander Handel betreibt, der bleibt offen für die Position des anderen. Der will erfolgreich sein auf den Märkten und setzt sich auseinander mit Land und Leuten. Der versteht, wie andere Länder ticken. Und das ist das Gegenteil von Abschottung und von Nationalismus. Nur gemeinsam kommen wir weiter, die Vielfalt, die wir auf der Grünen Woche sehen, ist eine Bereicherung - jeder hat für sich seinen Wert, denn Heimat kann man auch schmecken!
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen eine genussvolle, erkenntnisreiche, erfolgreiche und unterhaltsame Messe.
Hiermit eröffne ich die Internationale Grüne Woche 2019!
Ort: Berlin