Handel ist ein Beitrag zur Ernährungs- und Friedenssicherung

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner beim Hamburger Hafen-Klub

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Handel bedeutet Wohlstand

Der Hamburger Hafen zeigt uns viele Facetten unserer globalisierten Welt: Voll beladene Containerschiffe, die kommen und gehen. Waren aus aller Herren Länder, die pausenlos auf- und abgeladen und weiterverladen werden. Und Touristen, die von hier aus in See stechen.

Und noch etwas Anderes sticht ins Auge, wenn man den Blick schweifen lässt über

  • die historischen und liebevoll restaurierten Hafengebäude,
  • neue Bürokomplexe und
  • die schicken Restaurants und Bars.

Und zwar: Internationaler Handel und offene Märkte sind Teil unseres Wohlstands. Tatsächlich hat die Liberalisierung der Märkte und die Globalisierung des Handels in den vergangenen Jahrzehnten zu einer beispiellosen Wohlstandsentwicklung weltweit beigetragen. Noch vor 150 Jahren – um 1870, am Ausgangspunkt der industriellen Revolution – lebten noch 90 Prozent der Weltbevölkerung in Hunger und Armut.

Heute ist der Anteil zwar deutlich kleiner, aber vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern immer noch zu groß. Der Handel kann dazu beitragen, Lücken in der Versorgung zu schließen. Richtig ist aber auch, dass eigene Potentiale in den Entwicklungs- und Schwellenländern noch stärker für die eigene Versorgung entwickelt und genutzt werden müssen.

Für die gut entwickelte und exportorientiert aufgestellte deutsche Land- und Ernährungswirtschaft sind offene und kaufkräftige Märkte wichtig: Allein 2018 betrug die Bruttowertschöpfung der deutschen Landwirtschaft sowie der ihr vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche rund 200 Milliarden Euro.

Und der internationale Handel hat daran großen Anteil: Rund ein Drittel der Gesamtproduktion der deutschen Landwirtschaft wird exportiert. Und auch in der Ernährungswirtschaft wird jeder dritte Euro im Export verdient. Unser Wohlstand stützt sich auf den Agrarhandel.

Doch Handel muss mehr erzeugen als Wohlstand

Handel ist aber nicht nur ein wichtiger Wohlstandskatalysator. Handel kann dazu beitragen, Menschen zu ernähren. Handel kann für nachhaltige Entwicklung sorgen. Handel kann zu einer effizienteren Nutzung der natürlichen Ressourcen und damit letztlich zum Klimaschutz beitragen. Und er kann auch einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten.

Denn wer Handel treibt, der bleibt in Verbindung, baut Brücken und schafft Verständigung. Das sollten wir uns gerade 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ins Gedächtnis rufen: Als nach dem Zweiten Krieg alles am Boden lag, war es die Teilhabe am Handel, die uns

  • den Weg in eine wirtschaftlich bessere Zukunft ebnete.
  • unsere gesellschaftliche Entwicklung förderte.
  • und uns die Chance sicherte, uns als vertrauenswürdiger Partner neu in die Weltgemeinschaft zu integrieren.

Wir haben damals gelernt, dass es sinnvoller sein kann, nicht nur die eigenen Interessen im Blick zu haben. Wir haben von der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes profitiert. Und wir haben die Chancen regelbasierten Austausches genutzt, für den multinationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation, die WTO, eine Basis schufen.

Deshalb muss es uns zu denken geben, wenn heute freier und fairer Handel und diese Regeln wieder in Frage gestellt werden:

  • Wenn versucht wird, mit der Macht des Stärkeren eigene Interessen durchzusetzen.
  • Und wenn dabei auf die WTO als streitschlichtende und regelgebende Organisation gepfiffen wird.
  • Es muss uns auch zu denken geben, wenn in vielen Ländern eine breite Öffentlichkeit die Vorteile des Handels anzweifelt.
  • Wenn sie Handel bezichtigen, Unterentwicklung zu zementieren, Natur zu zerstören, den Klimawandel zu beschleunigen.
  • Und es muss uns zu denken geben, wenn Menschen und Unternehmen Handel ablehnen, weil sie glauben, nicht dem globalen Wettbewerb stand halten zu können.

Meine Überzeugung ist: Regelbasierter Freihandel ist wichtiger denn je. Doch brauchen wir ein neues gemeinsames Verständnis über zugrundeliegende Werte, über das, was uns gemeinsam wichtig ist. Denn die Bedingungen für künftiges Wirtschaften ändern sich im Moment dramatisch.

Angesichts der Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (kurz FAO), dass bis zum Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben werden. Angesichts dieser Zahlen müssen wir gemeinsam neue Lösungen, weitere Instrumente für einen regelbasierten Handel finden.

Protektionismus und Abschottung ist die falsche Antwort: Wissenschaftler der Universität Wageningen gehen davon aus, dass in den nächsten 40 Jahren so viele Nahrungsmittel produziert werden müssen wie die gesamte Menschheit im Verlauf der vergangenen 8000 Jahre. Dabei werden schon heute unsere natürlichen Ressourcen knapper und nehmen Konflikte um Wasser, Land und Böden zu.

Hier können Handel und vor allem die Unternehmen einen Beitrag leisten. Und sie müssen. Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung („Corporate Social responsibility“) – das wird künftig kein Luxus mehr sein können, den sich einige wenige Unternehmen leisten. Es wird die Regel werden müssen, dass die Wirtschaft ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Gestaltung der Handelsbeziehungen nachkommt.

Nur dann wird es gelingen, dass Handel künftig eines noch stärker ist: Ein Beitrag zur Ernährungssicherung und zur Friedenssicherung.

Es besteht Handlungsdruck, Potentiale des Handels nutzen: Weltweiter Hunger steigt wieder, während natürliche Ressourcen knapper werden

Anrede,

Soziale Verwerfungen, politische Unruhen und gewaltsame Konflikte sind Auslöser von Hunger und Armut. Denn ein leerer Magen kennt keinen Frieden. Deshalb müssen wir mehr unternehmen gegen Hunger und Fehlernährung. Auch, weil das Recht auf Nahrung ein Menschenrecht ist. Und laut FAO immer noch 822 Millionen Menschen hungern.

Bei der stetig wachsenden Weltbevölkerung ist die Zahl der Hungernden nun zum dritten Mal in Folge wieder gestiegen:

  • 2016: 797 Mio.,
  • 2017: 812 Mio.,
  • 2018: mehr als 820 Mio.

Gleichzeitig nehmen Mangelernährung, aber auch Übergewicht und Fettleibigkeit weltweit zu. Etwa zwei Milliarden Menschen leiden heute an verstecktem Hunger – auch in den reichen Industrienationen. Sie sind vielleicht satt, ja. Aber trotzdem falsch ernährt. • Und ihre Mangelernährung führt zu Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit. Das bedeutet nicht zuletzt auch erhebliche soziale und ökonomische Kosten.

Es reicht daher nicht aus, dass Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme genügend produzieren, damit Menschen irgendwie satt werden. Es kommt auch darauf an, eine Vielfalt an bezahlbaren und ernährungsphysiologisch hochwertigen Lebensmitteln herzustellen und den Zugang zu diesen Lebensmitteln zu ermöglichen. Und hier kann Handel einen Beitrag leisten.

Und ein weiteres kommt hinzu: Die nachhaltige und standortangepasste Nutzung von Ressourcen. Aus Klima- und Umweltschutzgründen kann es durchaus sinnvoll sein, zum Beispiel Getreide nur dort zu produzieren, wo die natürlichen Bedingungen dies zulassen.

Handel ermöglicht diese Arbeitsteilung. So können unterschiedliche Produktionsbedingungen in verschiedenen Regionen auf der Welt bestmöglich genutzt und ausgeglichen werden. Und dieses Potential gewinnt gerade an Bedeutung. Denn parallel zur Zunahme der Weltbevölkerung werden unsere natürlichen Ressourcen knapper.

Insbesondere die pro Kopf verfügbare Ackerfläche nimmt stetig ab: Standen 1970 noch rund 3.540 m2 pro Kopf zur Verfügung, waren es 2017 nur noch rund 1.840 m2. Und diese Flächen werden für mehr Zwecke gebraucht. Neben dem Anbau von Nahrungsmitteln, Futtermitteln und der Viehhaltung ist der Anbau von Agrarrohstoffen, zum Beispiel zur Gewinnung von Bioenergie getreten.

Obwohl die Devise stets lautet: Teller vor Tank, entsteht vielerorts eine Flächennutzungskonkurrenz, mit der wir umgehen müssen.

Fruchtbares Ackerland geht auch durch die rasante Ausdehnung der Städte verloren, vor allem in Asien und Afrika. Hinzu kommt ein gravierender Wassermangel in vielen Regionen der Welt. Durch den Klimawandel nehmen zudem extreme Wetterereignisse wie Stürme, Überschwemmungen und Dürre weiter zu. Viele Menschen verlieren aufgrund der extremen Wetterereignisse ihre Äcker und ihr Vieh.

Und damit setzt sich neben dem Hunger ein weiterer Teufelskreis in Gang: Menschen verlassen ihre Heimat,

  • weil Lebensgrundlagen wegfallen.
  • weil Unruhen ausbrechen und damit ganze Regionen destabilisiert werden.

Und auch hier zeigt sich: Hunger- und Armutsbekämpfung ist immer auch Fluchtursachenbekämpfung, ist Friedensicherung. Agrarhandel kann Teil der Lösung sein. Die Frage ist allerdings: Wie können wir ihn so gestalten, dass er diesen Anforderungen gerecht wird?

Lösung: Faire Regeln für den Handel entwerfen – beim GFFA und in der WTO

Wenn wir Handel sehen wollen als ein mögliches Instrument, um Hunger zu besiegen und Frieden zu sichern. Dann brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen und eine Weiterentwicklung unseres regelbasierten Handelssystems. Insbesondere mit Blick auf:

  • den zunehmenden Protektionismus und Strafzölle.
  • unsere Verpflichtungen innerhalb der Vereinten Nationen, wie zum Beispiel dem Recht auf Nahrung oder die zu nachhaltiger Entwicklung, und
  • auf Fehlentwicklungen, wie zum Beispiel die ungleiche Verteilung von Handelsgewinnen zwischen und innerhalb von Ländern oder sozialen Schichten, oder die Schwächung lokaler Märkte.

Man kann das ganz einfach auf den Punkt bringen: Handel darf nicht die Schwachen schwächer und die Starken stärker machen. Sondern er muss auf beiden Seiten den Wohlstand steigern. Das ist aber kein Automatismus. Wichtig dafür ist, dass die Rahmenbedingungen und auch das politische Umfeld stimmen, Stichwort good governance.

Zudem müssen Handelsregeln den Bedürfnissen der Entwicklungsländer ausreichend gerecht werden. Deshalb ist es richtig, dass die oftmals kritisierten Agrarexportsubventionen bereits 2014 auf EU-Ebene abgeschafft wurden, 2015 mit Beschluss der WTO Ministerkonferenz weltweit. Deshalb ist es wichtig, dass wir im Handel den besonderen Entwicklungsbedürfnissen der schwächsten Länder, insbesondere Afrikas Rechnung tragen.

Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) setzen wir uns dafür ein, die Kohärenz mit anderen EU-Politiken, wie der Entwicklungspolitik, zu wahren. Die EU-Agrarpolitik hat handelsverzerrende Subventionen bis auf ein marginales Sicherheitsnetz zurückgefahren. Doch um den Handel auf seine gestiegene Verantwortung vorzubereiten, braucht es mehr.

Deshalb haben wir im Januar auf unserem diesjährigen Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), dem Davos der Landwirtschaftspolitik, den Agrarhandel zum Thema gemacht. Um darüber zu diskutieren, welche Voraussetzungen wir schaffen müssen, um den Agrarhandel so zu entwickeln, dass er seine Aufgaben erfüllen kann.

GFFA

Lassen Sie mich davon einige Punkte berichten. Denn wir, 71 Agrarminister aus aller Welt, haben dabei ein Kommuniqué verabschiedet, das sehr konkrete Vorschläge macht, um das Potential des internationalen Agrarhandels noch besser zu nutzen.

  • Dazu müssen die Wertschöpfungsketten inklusiv, nachhaltig und sicher gestaltet sein
  • Deshalb unterstützen wir Investitionen in Bildung, in Infrastruktur, in Beratung.
  • Wir wollen Kleinbauern stärker in Märkte einbinden, auch durch die Förderung von Genossenschaften.
  • Wir wollen Entwicklungsländern Teilhabe ermöglichen.
  • Wir unterstützen Diversifizierung, um Abhängigkeiten zu vermeiden.
  • Wir fördern Innovationen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, um den Austausch von Informationen zu erleichtern und mehr Markttransparenz zu schaffen.
  • Und wir bekennen uns zu den UN-Nachhaltigkeits-zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und zum Paris Agreement.
  • Deshalb wollen wir die Entwicklung nachhaltiger Wertschöpfungsketten vorantreiben.

Auf dem GFFA ist uns gelungen, das Bekenntnis für den regelbasierten Handel zu erneuern. Das wird hoffentlich helfen, auf der kommenden WTO-Konferenz in Nur-Sultan, Kasachstan, im Juni dieses Jahres einen tragfähigen Kompromiss zu finden.

WTO

Die WTO, die seit ihrer Gründung im Jahr 1995 mit ihren Regeln für Rechtssicherheit, Transparenz und Gleichbehandlung im Welthandel steht. Und die jetzt, mit der Blockade der Streitschlichtung, ihres wichtigsten Instruments beraubt worden ist. Sie mag nicht perfekt sein, aber sie hat viel erreicht. Als die zentrale Institution,

  • um den internationalen Handel weiterzuentwickeln und in Bahnen zu lenken.
  • um über den weiteren Abbau von Agrarsubventionen, die den Handel verzerren, zu verhandeln.

Und auch jenseits von Verhandlungsrunden über den Abbau von Handelshemmnissen und unfairen Praktiken, fördert die WTO die Teilhabe von Entwicklungsländern am Handel.

Appell an die Wirtschaft, sich in den Dialog einzubringen

Ich habe eingangs vom schlechten Image gesprochen, das dem Handel in einigen Teilen der Bevölkerung anhaftet. Von der Skepsis. Und den teils überholten Ansichten. Wir können es uns nicht erlauben, diese Tatsache zu ignorieren. Schließlich sind die Auswirkungen immens. Denken wir nur an das Scheitern des TTIP-Abkommens. Oder ganz aktuell: an Mercosur.

Hier wird gern mit dem Finger auf die Politik gezeigt. Es wird über Fehler in der Kommunikation debattiert. Aber ich bin ganz ehrlich: Hier sehe ich auch Sie, die Wirtschaft, in der Pflicht. Durch Ihr Agieren prägen Sie das Bild des Handels in der öffentlichen Debatte.

Ich kann Sie nur ermutigen, sich stärker in die öffentliche Debatte einzubringen. Ihre Beweggründe und Überzeugungen, Ihr Handeln, transparent und damit nachvollziehbar zu machen. Denn wir alle sind in der Pflicht, wenn es darum geht, die positiven Seiten des Handels und seine Notwendigkeit in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken.

Wir leben in einer ruhelosen Zeit. Gerade verändert sich vieles. Das kann Angst machen. Strafzölle und Abschottung sind immer auch ein Zeichen der Unsicherheit. Dem wollen wir ein multilaterales, regelbasiertes, offenes, transparentes, vorhersehbares und inklusives Handelssystem entgegensetzen. Damit wir das positive Potential des Handels fördern. Damit Handel zur Ernährung und zum Frieden beitragen kann.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Hamburg


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