Ein EU-weites Tierwohlkennzeichen vorantreiben

Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft vor dem Deutschen Bundestag zum Thema "Zukunft der Nutzierhaltung in Deutschland sichern" und zur Umsetzung der Ergebnisse der "Borchert-Kommission"

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

mehr als 90 Prozent unserer Bevölkerung sind Fleischesser. Das ist keine Nische. Für dieses Verbraucher-Bedürfnis halten unsere Landwirte Nutztiere. Es ist ihr Beruf, sie verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Es ist ein Beruf, der Sachkenntnis und Befähigung, hohe Investitionen, viel Einsatz und Zeit erfordert. Mit Work-Life-Balance hat dieser Beruf wenig zu tun. Die Zahl der tierhaltenden Betriebe in Deutschland geht auch deshalb kontinuierlich zurück. Aber auch neue Auflagen, steigende Kosten, harter internationaler Wettbewerb kommen hinzu. Die Tierhalter sind das eine Ende.

Wir Verbraucher das andere. Der Großteil sagt: „Wir wollen besseres Fleisch - mit mehr Tierwohl. Tiere werden geschlachtet, dann sollen sie wenigstens ein gutes, besseres Leben gehabt haben.“ Diese Forderung unterstütze ich - wahrscheinlich alle Mitglieder des Parlaments.
Es geht um Respekt den Tieren gegenüber, aber auch den Tierhaltern - statt ihnen, wie es Mode geworden ist, pauschal das Schlimmste zu unterstellen. Aber eines ist auch klar: Für mehr Tierwohl im Stall braucht es bessere Preise an der Theke.

Fleisch soll kein Luxusprodukt für Reiche werden, aber Fleisch sollte auch nicht als Ramsch-Ware beworben werden, nicht als Lockmittel herhalten müssen, damit Käufer in den Laden kommen. Das halte ich ethisch für bedenklich. Denn Billigstpreise bei Fleisch und Wurst geben niemals ihren wahren Wert wieder. „Kracherhammerpreise“, „noch billiger“, „Preise bis in den Keller“ - so flattert die Werbung wöchentlich in den Briefkasten.

Diese Art Werbung ist aus ethischen Gründen nicht akzeptabel. Wir prüfen, wie wir juristisch gegen diese Dumpingpreise bei Fleisch vorgehen können. Denn glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass dafür ein Tier gut gelebt, ein Bauer ordentlich kalkuliert und ein Schlachthofarbeiter anständig bezahlt werden kann? Hier müssen wir zu Veränderungen kommen. Mir geht es um regionale Erzeugung mit steigenden Tierwohlstandards.

Genau mit dieser Zukunftsfrage, wie wir die Nutztierhaltung in Deutschland tierwohlgerecht umbauen, von der die Landwirte leben können, hat sich die sogenannte Borchert-Kommission beschäftigt. Ich habe sie eingesetzt, weit vor den Schlachthofskandalen, weil wir einen Pakt vom Stall bis auf den Teller schmieden wollen. Bei der Kommission saßen erstmals Akteure aller Seiten mit am Tisch. Dort wurde wissenschaftlich fundiert berechnet, wieviel ein Mehr an Tierwohl kostet. Wie das Geld auch bei denen ankommt, die ihre Ställe umbauen. Ich danke allen Fraktionen für Ihre Anträge, die Unterstützung deutlich machen. Das ist Rückenwind für unsere Politik, ein Zeichen, dass wir alle einen Konsens erzielen wollen. Um Tierhaltung in Deutschland halten zu können, um unsere Ställe nachhaltig umzubauen, um unseren Landwirten eine Perspektive zu geben.

Wir fangen nicht bei null an. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass 300 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket in 2020 und 2021 in den Umbau der Tierhaltung investieren werden können. Mit der heute im Bundesrat beschlossenen Änderung der Nutztierhaltungsverordnung werden wir zukünftig mehr Tierwohl erreichen bei der Sauenhaltung. Wir helfen den Landwirten bei der Umsetzung mit finanzieller Unterstützung. Wir wollen, dass Ökonomie, Ökologie und die soziale Frage in Balance sind. Das ist Nachhaltigkeit. Ich lege deshalb ein neues Förderprojekt - mit 300 Millionen Euro - für Tierwohlställe auf. Und ich plane die nächsten Schritte. Wir wollen eine europarechtlich tragfähige Tierwohlabgabe einführen, die in einen Fonds fließt. Mit diesen Geldern sollen weitere kostenintensive Stallumbauten finanziert werden. Wir wollen, dass Tierwohlaspekte im Verbraucherpreis klarer erkennbar sind. Deshalb mein Gesetz zu einer dreistufigen Tierwohlkennzeichnung, damit der Verbraucher auch eine entsprechende Orientierung beim Einkauf hat und mit seinem Geldschein an der Kasse eine bewusste Entscheidung treffen kann.

Und ich werde während unserer deutschen Ratspräsidentschaft ein EU-weites Tierwohlkennzeichen vorantreiben. Das hat es vorher noch nicht gegeben, das wird Signalwirkung haben.

Mit der von mir eingesetzten „Borchert-Kommission“ gibt es nun zum ersten Mal einen gesamtheitlichen Ansatz zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland. Und wir investieren 40 Millionen Euro in die Ställe der Zukunft, auch in die Digitalisierung, um Tierwohl zu messen und zu steigern. Weil wir Tierhaltung in Deutschland halten möchten, um auch Standards weiter mitbestimmen zu können. Wer Tierhalter aus Deutschland treibt, erweist dem Tierwohl einen Bärendienst. Das ist ein Umbau, ein Systemwechsel über eine Legislaturperiode hinaus. Es bedarf eines gesellschaftlichen Konsenses und eines Generationenvertrages. Planungssicherheit für Investitionen benötigen eine langfristige Zusage. Lassen sie uns das aktuelle Momentum dafür nutzen, lassen Sie uns gemeinsam einen Umbau der Tierhaltung gestalten, über Parteigrenzen hinweg. Tierwohl ist eine Frage der Haltung - und die wollen wir verbessern!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung - Die Borchert Kommission

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