Perspektiven schaffen – Transformation umsetzen
Rede von Bundesminister Cem Özdemir zum Digitalen Agrarpolitischen Jahresauftakt des DBV
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
ich wünsche Ihnen ein gutes und gesundes neues Jahr 2022.
Normalerweise würde ich mit der Internationalen Grünen Woche jetzt kurz vor meiner ersten praktischen Prüfung als Landwirtschaftsminister stehen. Alle würden genau beobachten, auf welchem Trecker der Bundesminister wie sitzt, traut er sich an Tiere ran und wie übersteht er die stundenlangen Messe-Rundgänge mit Häppchen und Schnäpsen. Wobei ich Ihnen verraten kann, dass meine Jahre als Parteivorsitzender dafür ein gutes Training waren.
Aber auch in diesem Jahr verhindert Corona diesen gemeinsamen, verbindenden Jahresauftakt. Deshalb finde ich es richtig, dass wir auf ein Kennenlernen nicht ganz verzichten. Sondern dass Sie dieses digitale Angebot schaffen. Denn wir brauchen den Austausch. Den direkten Dialog, wie wir Landwirtschaft zukünftig gestalten, wie wir gute Perspektiven für unsere Bauernfamilien schaffen wollen.
Perspektiven schaffen - Transformation ermöglichen
Wer genau hinschaut, weiß es schon lange: Das Agrarsystem steckt in der Krise. Vieles ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch und sozial nicht zukunftsfähig. Wir können es uns nicht mehr leisten in Gewinnen von heute auf Kosten von morgen zu denken. Ich will Landwirtinnen und Landwirten erfolgreiches Wirtschaften ermöglichen und die vorhandene Lösungskompetenz der Landwirtschaft stärken.
Und mir geht es darum, die Selbstbestimmung der Landwirtinnen und Landwirte zu stärken. Ein landwirtschaftlicher Betrieb soll keine Franchise-Filiale sein:
- Die zentral vorgeschrieben bekommt, welches Futter gefüttert wird,
- die vorgeschrieben bekommt, wieviel und welche Arzneimittel zum Einsatz kommen,
- welche Pestizide eingesetzt werden,
- welche Genetik die Tiere auf dem Betrieb haben.
Landwirtschaft ist kein einzelner Arbeitsschritt, sondern eine Verknüpfung von unternehmerischen Schritten in ökologischer, tierethischer und sozialer Verantwortung im Jahresverlauf. Landwirtschaft enthält nicht umsonst das Wort Wirtschaft. Die vor Ort, in unseren Gemeinden und Dörfern stattfindet. Dort wo es Landwirtinnen und Landwirte gibt, dort engagieren sie sich auch in der Region und für die Region! Eine Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe ist daher auch eine Stärkung des Zusammenhalts. Wir wollen die kluge Stimme der ländlichen Räume sein, nicht die altkluge Stimme für die ländlichen Räume. Zuhören und Anpacken ist unser Motto.
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Landwirtinnen und Landwirte sind für mich Fachleute, die selber entscheiden, was auf ihrem Betrieb geschieht. Dazu brauchen Sie Planungssicherheit. Die gab es in der Vergangenheit aber oft eben nicht.
Wir schaffen deshalb Lösungen, die in drei Richtungen wirken:
- Für mehr Umwelt-, Tier-, Natur- und Klimaschutz.
- Für wirtschaftliche Perspektiven auf unseren Höfen.
- Für mehr Wertschätzung für die Landwirtschaft sowie unsere Bäuerinnen und Bauern.
Koalitionsvertrag umsetzen
Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, große Räder zu drehen, die wir nicht neu erfinden müssen. Die Zukunftskommission Landwirtschaft und das Kompetenznetzwerk Tierhaltung haben gute Ideen entwickelt. Besonders die Zukunftskommission hat die Aufgaben und Herangehensweise für die Transformation der Landwirtschaft mit Blick auf den Schutz von Umwelt, Tieren, Klima und unserer natürlichen Ressourcen aufgezeigt. Die Transformation muss sowohl zügig angegangen werden als auch planbar und machbar sein. Im Rahmen der planetaren Grenzen müssen die ökologische Verträglichkeit, die Resilienz der Betriebe und der Tierschutz verbessert werden.
Wir richten unseren Blick auf das gesamte Ernährungssystem. Und damit ist die Transformation als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe formuliert. Ohne Veränderungen der Ernährungsstile und des Verbraucherverhaltens wird diese Transformation nicht gelingen können. Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon. Aber trotz der enormen Herausforderungen ist für mich klar: Die Zeit ist reif, Landwirtschaft, Natur- und Umweltschutz endlich unter einen Hut zu bringen.
Wir brauchen hierfür ein gemeinsames Verständnis eines nachhaltigen Ernährungssystems in Deutschland. Der landwirtschaftlichen Erzeugung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Ich bin davon überzeugt, dass es gemeinsam mit allen Beteiligten gelingen kann, diesen Prozess erfolgreich fortzuführen. Denn auch in der Landwirtschaft gibt es weniger ein Erkenntnis- als ein Entscheidungsdefizit. Was bisher fehlte, ist eine Strategie, die dann auch durchgehalten wird. In dieser Legislaturperiode werden wir dazu die notwendigen Entscheidungen treffen. Unsere Politik wird für eine ehrliche Debatte stehen, für Lösungen, die gute Perspektiven bieten.
Klimakrise bekämpfen
Nehmen wir konkret das Thema Klimaschutz: Land-und Forstwirtschaft stehen klar im Fokus, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht. Sie sind Leidtragende extremer Trockenheit oder von Wetterkapriolen, wie in den vergangenen drei Jahren. Sie sind Treiber der Klimakrise durch Futtermittelimporte aus den Tropen, immer steigende Intensivierung und den Einsatz von energieintensiv produzierten Pestiziden und Mineraldünger. Sie sind Teil der Lösung, wenn wir beginnen die Potentiale zur Kohlenstoffspeicherung verstärkt zu heben.
Der Koalitionsvertrag ist an dieser Stelle ganz konkret: Wir wollen den Schutz der Moore und die Etablierung klimaverträglicher Anbaumethoden auf Moorböden stärken. Das soll in einer Moorschutzstrategie der Bundesregierung münden. Wir entwickeln Programme zum klimaresilienten Waldumbau und zur Neu- und Wiederbewaldung. Mit gezieltem Humusaufbau und der Stärkung regionaler Kreisläufe wollen wir in der Land- und Forstwirtschaft Treibhausgasemissionen sparen und besser speichern. So werden wir einen unabdingbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.
Wir haben uns zudem darauf verständigt, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 zu erreichen. Und zwar nicht nur auf der Fläche, sondern auch im Supermarktregal. Und es ist richtig, dass der ökologische Landbau unser Leitbild bleibt – weniger Pestizide, weniger Dünger und mehr Natur. Aber wenn wir 30 Prozent Bio sagen, heißt das auch, dass im Jahr 2030 weiterhin 70 Prozent der Flächen in Deutschland konventionell bewirtschaftet werden. Deshalb geht es darum, die gesamte Landwirtschaft nachhaltig zu machen und erfolgreich in die Zukunft zu führen
Tierschutz stärken
Das gilt gleichermaßen für die Tierhaltung: Wer Tiere nutzt, hat auch die Pflicht, sie bestmöglich zu schützen. Wir haben die Tiere an den Stall angepasst, um den allerletzten Effizienzgewinn herauszupressen. Wir sehen in der Tierhaltung regionale Belastungsgrenzen überschritten, mit negativen Folgen für Boden, Luft und Wasser. Das ist kein Weg für die Zukunft. Wir müssen die Tierzahlen wieder stärker an die verfügbare Fläche binden. Wir haben uns deshalb im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Landwirte bei dem Umbau der Nutztierhaltung zu unterstützen. Zentrales Element wird dafür die Einführung einer transparenten und verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung sein! Damit nicht nur draufsteht, was drin ist, sondern auch, wo und wie das Schwein gehalten wurde, von dem das Lebensmittel stammt. Entscheidend dabei: Einen Umbau allein auf Kosten der Landwirtschaft werden wir nicht zulassen. Die bisherige Politik des „Höher-Schneller-Weiter“ hat das Höfesterben getrieben. Diese Politik auf Kosten der Menschen hinter der Landwirtschaft ist zu Ende.
Ich möchte gemeinsam mit Ihnen die besten Lösungen für unsere Betriebe, für die Natur, für die Umwelt, für die Tiere und für Verbraucherinnen und Verbraucher entwickeln. Wir wollen unserer Landwirtschaft eine neue Geschichte geben. Nicht mehr „höher schneller, weiter“, sondern „besser, gesünder, miteinander“.
Gerade wenn das Ziel klar ist, dann lohnt sich es manchmal um den Weg zu ringen. Und mein Ziel ist klar: Ich möchte unsere Landwirtschaft auf breiter gesellschaftlicher Basis weiterentwickeln. Damit die nächsten Jahre gut für unsere Landwirtschaft werden. Dass unsere Bäuerinnen und Bauern und auch derer Kinder Spaß an einer erfolgreichen Landwirtschaft haben.
Mehr Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz bilden dabei unseren Kompass! Ich bin überzeugt, dass das auf lange Sicht auch die richtige Richtung für die Landwirtschaft ist. Dies wird insbesondere gelingen, wenn wir den Landwirtinnen und Landwirten Wege aufzeigen, Umwelt-, Tier- und Klimaschutz sowie Tierwohl mit einer wirtschaftlichen Perspektive zu verbinden. Vor allem ist es wichtig, dass zusätzliche Leistungen der Betriebe auch finanziell honoriert werden und dass gesellschaftliche Wertschätzung auch zu mehr Wertschöpfung führt.
Hierbei will ich entscheidend helfen und ein Wegbereiter sein.
Vielen Dank.
Ort: Berlin