Lassen Sie uns Lösungen und Wege finden, um nachhaltiger zu wirtschaften.
Rede von Silvia Bender, Staatssekretärin auf dem Unternehmertag Lebensmittel am 30. März 2023 in Köln
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
ich danke Ihnen für die Einladung.
Die Ernährungswirtschaft und das Ernährungsministerium stehen ja in einem intensiven, konstruktiven, hier und da auch streitbaren Dialog miteinander. Es finden gute Gespräche im Ministerium statt, erst kürzlich haben wir uns dort ausgetauscht.
Im Mittelpunkt unserer Gespräche steht genau das Thema des Unternehmertages: nämlich Nachhaltigkeit! Wie wir es schaffen, dass Nachhaltigkeit ein Gewinn für Mensch, Natur und Klima wird. Wie wir es schaffen, die Dinge zum Besseren zu verändern.
Nachhaltigkeit ist Chance und Notwendigkeit
Und genau das – besser werden! – dürfte Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer tagtäglich umtreiben. Es gibt zwei Sätze, die in Ihren Unternehmen vermutlich Tabu sind. Der erste Satz lautet: "Das haben wir aber schon immer so gemacht". Und der zweite Satz lautet: "Das haben wir aber noch nie so gemacht." Der deutsche Mittelstand ist auch deshalb so erfolgreich, weil er diese zwei Sätze eben nicht beherzigt.
Er ist so erfolgreich, weil er jeden Tag daran arbeitet, ein Stück besser zu werden, um sich immer wieder an veränderte Märkte anzupassen. Oder er verändert diese Märkte gleich selbst durch besondere Innovationen, so dass sich die Konkurrenten anpassen müssen. Das war auch immer schon die Stärke vieler Unternehmen unserer Ernährungswirtschaft – und das soll und wird auch so bleiben!
Der Unterschied zu früher ist allerdings, dass sich das Verständnis von "gut" und "besser" verändert hat. Es geht immer noch darum, Gewinne zu erzielen, Arbeitsplätze zu schaffen und innovativ zu sein. Glauben Sie mir: auch grüne Ökos wissen das! Aber es ist eben ein Kriterium dazu gekommen, wenn wir sagen, wir wollen besser werden – und dieses Kriterium ist Nachhaltigkeit.
Als Gesellschaft, in der Politik und in der Wirtschaft verständigen wir uns immer mehr darauf, dass die Gewinne von heute nicht mehr auf die Kosten der Zukunft gehen – genau das bedeutet Nachhaltigkeit im Kern. Das ist Thema in den Ministerien, in den Verbänden, in den Unternehmen – auch in vielen Familien, wo generationenübergreifend leidenschaftlich diskutiert wird.
In diesem Sinne geht es heute mehr denn je um einen fairen Ausgleich zwischen Gegenwart und Zukunft. Aber nicht einfach nur, um Wirtschaft zu "erhalten", wie es im Motto des Unternehmertages zum Ausdruck kommt. Sondern um Wirtschaft ausdrücklich zu stärken, um nachhaltig zu wachsen und unseren Wohlstand auch künftig zu bewahren.
Ob Klimakrise, Artensterben oder die dramatischen Verwerfungen, die der russische Angriff auf die Ukraine ausgelöst haben – all das hatte und hat dramatische Auswirkungen auch auf die Ernährungswirtschaft. Es ist offenkundig, was eine verantwortungsbewusste Politik heute vor allem leisten muss: Sie muss alles tun, damit wir krisenfester und weniger anfällig für externe Schocks werden. Aber eben nicht nur mit Blick auf heute – sondern auch mit Blick auf morgen und übermorgen.
Ich glaube, im Wesentlichen teilen auch viele hier im Saal diese Überzeugung. Aber es gibt unterschiedliche Ansichten, wie schnell und wie konsequent wir Nachhaltigkeit verfolgen und zu einem Gewinn für unser Leben und unsere Gesellschaft machen. Nur eines sollte eben klar sein: Es hilft nicht, nichts zu tun.
Es hilft nicht, bloß Abwehrkämpfe gegen notwendige Veränderungen zu führen, die dann andere wirtschaftlich zu ihrem Vorteil nutzen. Je früher wir uns auf den Weg machen, desto eher werden wir auch die Ziele erreichen – krisenfester und stärker als zuvor.
Der in der vergangenen Woche vorgestellte Bericht des Weltklimarats spricht in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Wir sind gut beraten, die Warnung der zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr ernst zu nehmen. Sie sagen uns, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht reichen, um der Klimakrise zu begegnen oder sich an die Folgen anzupassen. Dieses Jahrzehnt, so heißt es im Bericht, ist für den Kampf gegen die Klimakrise entscheidend.
Politik für Nachhaltigkeit und Wohlstand
Die gute Nachricht ist: Es ist 2023 und wir haben es selbst in der Hand. Gerade auch angesichts der Veränderungsbereitschaft und Innovationskraft der Ernährungswirtschaft. Wir werden es überhaupt nur mit der Veränderungsbereitschaft und Innovationskraft der Ernährungswirtschaft schaffen, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Auch in dieser Hinsicht sind Sie systemrelevant, meine Damen und Herren.
An der Land- und Ernährungswirtschaft führt also kein Weg vorbei, wenn es darum geht, Klima, Umwelt und Biodiversität zu schützen, Wirtschaft zu stärken und Wohlstand zu schaffen. Rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Deutschland gehen auf unser Agrar- und Ernährungssystem zurück. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, hat weitreichende Folgen – und ist zugleich ein großer Hebel für Veränderungen.
Deshalb haben wir auch verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Land- und Ernährungswirtschaft dabei unterstützen sollen, Nachhaltigkeit zu einer Erfolgsgeschichte für unser Land zu machen. Dazu gehört auch die Arbeit an einer Ernährungsstrategie der Bundesregierung.
Es soll für alle Menschen in Deutschland einfacher werden, sich so zu ernähren, dass man gesund alt werden kann. Es geht unter anderem darum, dass wir uns künftig stärker pflanzenbetont ernähren; dass wir Zucker, Fette und Salz in unseren Lebensmitteln reduzieren, wie es uns die Wissenschaft empfiehlt; dass wir weniger Lebensmittel verschwenden, um auch darüber das Klima und die Natur zu schützen; dass Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung gesünder und nachhaltiger werden; dass der Anteil an saisonal-regional und ökologisch-klimafreundlich erzeugten Lebensmitteln in der Gemeinschaftsverpflegung steigt.
All diese Veränderungen sind übrigens keine Erfindung von uns. Sie finden in unserer Gesellschaft längst statt. Gerade bei Jüngeren ist das Essverhalten durchaus auch eine politische Frage, die in einen größeren Kontext von Mensch, Natur und Klima gestellt wird. Daraus ergeben sich für Sie auch neue Marktchancen und Absatzmärkte. Und ich weiß auch, dass viele von Ihnen diese Chancen und Märkte auch genau im Blick haben und nutzen.
Wie Sie wissen – und jetzt komme ich zum für manche wohl spannendsten Punkt –, beinhaltet die Ernährungsstrategie auch klare und verbindliche Regeln für die an Kinder gerichtete Werbung für zu süße, salzige oder fettige Lebensmittel. Ich weiß, dass unser Gesetzesentwurf bei den ernährungswirtschaftlichen Verbänden nicht unbedingt Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir von Unternehmen selbst differenzierte Rückmeldungen bekommen. Auch die Rückmeldung, dass sie gerade angesichts der gesellschaftlichen Debatte längst damit gerechnet haben.
Die Ernährungssituation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sollte uns auch allen Anlass zur Sorge geben: Rund 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig, darunter knapp sechs Prozent adipös. Und die Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung ist ein Baustein, um Ernährungsumgebungen zu verbessern – wenn gleich nicht der einzige.
Jetzt habe ich hier und da gehört, Werbung habe doch gar keinen Einfluss. Sie werden es mir nachsehen, wenn ich mich dann frage: Warum wird dann überhaupt geworben?
Bei unserem Austausch kürzlich im Ministerium hat Bundesminister Özdemir erklärt, dass es Ihr gutes Recht ist, Ihre Kritik öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Aber fair, sachlich und anständig sollte es schon ablaufen, zumal es ja um das Wichtigste geht, was wir haben: Kinder und ihre Zukunft. Da haben wir jetzt mit Erstaunen Ihre ganzseitige Anzeige in zwei Sonntagszeitungen wahrgenommen.
Ich möchte den Stil dieser Anzeige hier nicht ausführlich bewerten. Aber Minister Özdemir hat mich gebeten, Ihnen zu danken: In der Anzeige ist sein Sakko an den Schultern zwar etwas zu groß geraten – aber seine besonders volle Haarpracht gleicht das großzügig wieder aus.
Unser Ansatz für mehr Nachhaltigkeit beinhaltet auch, gezielt den ökologischen Landbau als unser Leitbild für eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Es ist unser Ziel, 30 Prozent Öko bis 2030 zu erreichen. Dabei geht es um Öko in der gesamten Wertschöpfungskette – auf den Feldern und in der Herstellung, in den Ladenregalen, in der Außer-Haus-Verpflegung und natürlich auch an der Ladenkasse. Gerade das vergangene Jahr hat uns einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig eigene Wirtschafts- und Nährstoffkreisläufe sind, um dadurch unabhängiger und krisenfester zu sein. Auch hier hat der Ökolandbau bereits Pionierarbeit geleistet.
Wir arbeiten außerdem daran, dass weniger Tiere besser gehalten werden: Für eine intakte Umwelt und Natur, gesunde Tiere und Bauernfamilien, die ein gutes Einkommen verdienen. Wir wollen dieses Ziel nicht erreichen, in dem Strukturen kaputtgehen – denn dann werden wir nicht erfolgreich sein. Wir wollen dieses Ziel erreichen, indem wir gemeinsam Schritt für Schritt Strukturen verändern und Planungssicherheit schaffen.
Denn das ist doch klar: Unsere Landwirtinnen und Landwirte sind veränderungsbereit – aber sie brauchen eine verlässliche Perspektive, in der diese Veränderungsbereitschaft auch gesellschaftlich und wirtschaftlich gewürdigt wird. Genau daran arbeiten wir!
Wir investieren auch gezielt in Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für eine nachhaltigere Zukunft. Unser mit 100 Millionen Euro ausgestattete Forschungs- und Innovationsprogramm „Klimaschutz in der Landwirtschaft“ soll bis Ende 2026 zur Minderung von Treibhausgasen beitragen. Das wird den Transformationsprozess in der Landwirtschaft weiter unterstützen.
Außerdem fördern wir Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, um Kunststoffverpackungen und -abfälle entlang der Lebensmittelkette zu reduzieren. All diese Maßnahmen und Vorgaben leisten einen Beitrag dazu, dass die Land- und Ernährungswirtschaft nachhaltiger wird – vom Acker bis zum Teller.
Nachhaltigkeit ist ein Wettbewerbsvorteil auf den Märkten
In Gesprächen erkenne ich immer wieder die Bereitschaft, nachhaltiger zu wirtschaften und zu produzieren. Aber auch mit dem Hinweis, dass jetzt gerade nicht der richtige Zeitpunkt für Veränderungen und entsprechende Investitionen sei. Ja, wir sind in einer Ausnahmesituation, denn noch nie gab es so viele sich überlagernde Krisen, die uns gleichzeitig herausfordern. Deshalb haben wir als Bundesregierung wirksame Hilfspakete geschnürt. Sie bringen in diesem Jahr spürbare Entlastungen für die Wirtschaft und die Menschen im Land.
Das ändert aber nichts daran, dass wir alle uns der Zumutung stellen müssen, dass wir diese Krisen nur dann bewältigen können, wenn wir neue Wege einschlagen. Gerade die langfristige Sicherung unserer Ernährung kann nur gelingen, wenn wir künftig ressourcenschonender wirtschaften. Gerade weil wir auch in zehn, zwanzig und fünfzig Jahren Boden, Wasser, Luft, Klima und Arten nutzen wollen, müssen wir sie jetzt mehr denn je schützen. Dafür ist der europäische Green Deal unsere Handlungsgrundlage.
Sie fordern von der Politik zurecht Investitionssicherheit und faire Wettbewerbsbedingungen ein. Aber warum wird nicht viel häufiger die Frage gestellt, welchen Wettbewerbsvorteil Investitionen in den Schutz von Umwelt, Klima- und Biodiversität bringen können? Oder wie Nachhaltigkeit künftige Märkte prägen wird? Wie die Ernährungsindustrie es schaffen kann, jetzt schon einen Vorsprung zu erarbeiten, der gewinnbringend wäre?
Sie und ich wissen angesichts der Klimakrise und des Pariser Klimaschutzabkommens, dass Nachhaltigkeit ein Game Changer ist, der bestehende Märkte umkrempelt und neue schafft. Die Chancen, die darin stecken, kommen mir in der Debatte zu kurz. Und ich vermisse diesen Aspekt leider auch im Programm der heutigen Veranstaltung.
Dabei ist die Ernährungsindustrie doch für ihren Innovationsgeist bekannt. Dies belegen die Vielfalt an Produkten, die wir tagtäglich konsumieren können. Aber auch die Anstrengungen, die Sie im vergangenen Jahr unternommen haben, um in den Produktionsprozessen Energie zu sparen. Dies war ein wichtiger Beitrag, damit wir gut durch den Winter kommen konnten.
Etliche Mitglieder Ihres Verbands haben längst Maßnahmen ergriffen, um nachhaltiger zu wirtschaften und übernehmen Verantwortung. Ich denke hier zum Beispiel an die vielen Unternehmen, die sich aktiv an den sektorspezifischen Dialogforen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung beteiligen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundenen Folgen − die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise, die Inflation und die Veränderungen im Konsumverhalten der Menschen − fordern den Findungsgeist Ihrer Unternehmen erneut heraus. Die Branche verfügt über die Innovationskraft, sich selbst während einer zweifellos fordernden Gesamtsituation weiter zu entwickeln und auch neu zu erfinden.
Lassen Sie uns Lösungen und Wege finden, um nachhaltiger zu wirtschaften. Damit steht und fällt unsere Zukunft. Damit steht und fällt letztlich auch Ihre Wirtschaftlichkeit, denn die Märkte ändern sich und werden sich weiter ändern. Auch deshalb, weil viele von Ihnen mit Innovationen immer wieder neue Maßstäbe setzen und auch künftig setzen werden – und dabei wird diese Bundesregierung sie auch unterstützen! In diesem Sinne wünsche ich eine erfolgreiche Tagung!
Vielen Dank!
Ort: Köln