Wir müssen alles dafür tun, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Empfang des BÖLW am 19.01.2024 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Ich freue mich heute wieder bei Ihnen zu sein − nach diesem, weiß Gott, nicht einfachen Jahr und zuletzt den Protesten der Bäuerinnen und Bauern. Es passiert nicht häufig, dass quasi alle landwirtschaftlichen Verbände zusammenstehen in ihrer Kritik an der Bundesregierung. Das haben wir uns selbst zuzuschreiben. Aber manche Akteure in Politik und Öffentlichkeit wittern jetzt ihre Chance, alles rundherum abzulehnen, was an Reduktion von Pestiziden, mehr Tierwohl, mehr Klimaschutz notwendig ist – mit der Begründung, es sei eine zu große Belastung für die Landwirtschaft. Davor kann ich nur warnen.

Wer dem Dreiklang von Ertragssicherheit, Klimaschutz und Artenschutz nicht gerecht werden will, der gefährdet die Zukunft unserer Landwirtschaft und alles, was damit zusammenhängt. Haushaltskürzungen, Diskussionen über den Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen und schwächelnde Umsätze mit Bio-Lebensmitteln haben Sie und uns dabei besonders beschäftigt.

Zumindest die Umsätze im Bio-Bereich haben sich in der zweiten Jahreshälfte stabilisiert, wie aktuelle Prognosen zeigen. Im Marktbericht des Bauernverbandes werden für das Jahr 2024 wachsende Umsätze mit Bio-Lebensmitteln erwartet. Und das sind richtig gute Nachrichten − nicht nur für Sie. In dieser Runde muss ich nicht erklären, welchen Mehrwert Bio für den gesamten Landwirtschafts- und Ernährungssektor bedeutet. Das übernehmen inzwischen ohnehin gerne die Kolleginnen und Kollegen von der Union für mich, die zum Beispiel für mehr regionales Essen und Bio-Lebensmittel in Kantinen werben. Auch Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen und ihr Kollege Peter Hauk, die beide heute Abend hier sind. Natürlich unterstütze ich auch Markus Söder und Michaela Kaniber, wo ich kann, damit sie das Ziel ihres Bayerischen Landesprogramms für 30 Prozent Bio bis 2030 erreichen.

Gute Ziele sollte man immer unterstützen. Erst kommt die Sache, dann die Partei – das sollten wir alle immer so machen und uns auch immer daran erinnern. Mit unserer Bio-Strategie 2030, unserer kürzlich gestarteten Bio-Informationsoffensive und der eigenen Bio-Stufe unserer Tierhaltungskennzeichnung schaffen wir Transparenz für die Verbraucher.

Und wie Sie wissen, sind das nur einige der Maßnahmen, die wir 2023 aufgelegt oder ausgebaut haben. Natürlich ist auch die Bio-Branche von den Haushaltskürzungen betroffen. Denn für Saat, Ernte und Unkrautbekämpfung brauchen schließlich auch Bio-Landwirtinnen und Landwirte Landmaschinen. Ich will es an dieser Stelle nochmal betonen: Ich habe früh davor gewarnt, die Landwirtinnen und Landwirte bei den Haushaltskürzungen überproportional zu belasten. Und ich habe mich mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass die ursprünglichen Beschlüsse noch mal aufgemacht und entscheidend verändert werden. Dabei haben wir, wie ich finde, einen fairen Kompromiss erreicht, auch wenn ich weiß, dass viele Landwirtinnen und Landwirte immer noch sagen, das reicht ihnen nicht. Als Bundesregierung müssen wir hier aber auch selbstkritisch sein. Man muss mit den Akteuren reden – ich erinnere an die "Politik des Gehörtwerdens" von Winfried Kretschmann –, die von Entscheidungen betroffen sein werden.

Zugleich müssen wir verstehen, dass die Debatte um den Agrardiesel auch für die Irrwege der Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte steht. Und wir müssen uns natürlich auch kritisch fragen: Wenn Betriebe wegen der Kürzung der Agrardieselbeihilfe in ihrer Existenz bedroht sind – wie steht es da um die grundsätzlichen Rahmenbedingungen? Dann haben wir es doch mit einer grundsätzlichen Fehlentwicklung zu tun. Diesen Weg zu korrigieren ist die Aufgabe, der ich mich stelle – und das ist ein Marathon, kein Sprint. Was mich in der vergangenen Woche wirklich überrascht hat, ist so manche Äußerung aus der demokratischen Opposition. Da könnte man mitunter den Eindruck gewinnen, sie hätte die vergangenen Jahrzehnte gar nicht regiert.

Die Wahrheit ist: Die Kürzung der Agrardiesel-Beihilfe ist aus Sicht vieler Landwirte der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ein Fass, das ich als Minister vor zwei Jahren schon gut gefüllt übernommen habe.

Wir alle sollten selbstkritisch sein, aber dann bitte auch die, die jahrzehntelang die Landwirtschaftspolitik im Bund zu verantworten hatten – und das übrigens auch zu einer Zeit, in der die Steuereinnahmen sprudelten und man es dennoch versäumt hat, beispielsweise die Tierhaltung zukunfts- und krisenfest aufzustellen.

Die Politik des wachse oder weiche, das ist nicht meine Politik. Dieses Prinzip haben meine Vorgängerinnen und Vorgänger mit ihren Entscheidungen befeuert. Ich bin angetreten, um genau das zu ändern. Und daran arbeiten wir − im Interesse der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Aber den Karren kriegt einer alleine nicht gezogen, da müssen schon mehr mitmachen, auch die demokratische Opposition. Landwirtinnen und Landwirte brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit – und deshalb müssen politische Entscheidungen auch über eine Legislaturperiode hinweg Bestand haben. Deshalb wiederhole ich auch hier mein Angebot, dass wir mit einer breiten Mehrheit die bestmöglichen Rahmenbedingungen für unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft schaffen.

Eines ist mir noch wichtig, wenn wir über die Proteste der vergangenen Tage und Wochen sprechen: Ich habe großes Verständnis dafür, wenn unsere Landwirtinnen und Landwirte ihre Position einbringen und mit demokratischen Mitteln demonstrieren. Das dürfen sie − das ist ihr gutes Recht.

Wir haben ihnen zugehört. Im Rahmen der Proteste gab es auch ganz bewusst Versuche von Rechtsaußen, sie zu instrumentalisieren. Ich habe einen Slogan gesehen, der mir besonders gut gefallen: Landwirtschaft ist bunt – nicht braun!

Mein Dank gilt dem BÖLW, dem DBV, dem Berufsstand und anderen landwirtschaftlichen Organisationen, die hier mit wachen Augen gegensteuert und das auch verurteilt haben. Auch die Vorschläge zum weiteren Umgang mit neuen Züchtungsverfahren haben Sie und uns beschäftigt. Und das werden sie weiterhin. Klar ist: Wer gentechnikfrei wirtschaften will, muss dies auch in Zukunft auch verlässlich tun können. Wir brauchen echte Wahlfreiheit über die gesamte Lebensmittelkette. Deshalb habe ich mich frühzeitig innerhalb der Bundesregierung für einen guten Kompromiss eingesetzt.

Es geht schließlich auch darum, einen extrem starken Markt in Deutschland zu schützen. Wir reden hier allein im Bio-Bereich von über 15,3 Milliarden Euro Umsatz, die der Sektor im Jahr 2022 erwirtschaftet hat. Wir müssen uns auch ganz genau mit den Folgen einer Deregulierung von NGT für die Entwicklung von Patentierungen von Pflanzen auseinandersetzen. Dazu fehlt es bislang an Antworten von der EU-Kommission. Klar muss sein: Patente durch die Hintertür darf es nicht geben. Denn Patente auf Saatgut blockieren Innovationen, sorgen für Abhängigkeiten und führen in der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Handel zu Haftungsrisiken.

Es gibt aber noch mehr, was wir anpacken müssen. Aus den vielen Gespräche im vergangenen Jahr weiß ich, dass es noch einige Hürden aus dem Weg zu räumen gibt, um unser 30- Prozent-Ziel zu erreichen. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungskette − von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zum Verbrauch. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Mühlen, die Bäckereien, die Fleischereien, andere Lebensmittelverarbeiter genauso wie die Cafés, Restaurants, Imbissstuben und Kantinen.

Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass Betriebe entlang der Wertschöpfungskette sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren können: darauf, hochwertige, leckere Bio-Lebensmitteln herzustellen. Mit der Bio-Strategie 2030 wollen wir bürokratische Hürden abbauen und zudem dafür sorgen, dass Wissen in Praxisworkshops rund um die Bio-Verarbeitung vermittelt wird. Wir starten dieses Jahr das Best-Practice-Bio-Betriebsnetzwerk, in dem die Handwerksbetriebe und Verarbeiter im Mittelpunkt stehen. Denn ohne diese Unternehmerinnen und Unternehmer gäbe es keine regionale Bio-Vielfalt in den Läden. 

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die deutsche Förderlandschaft für viele Betriebe ein undurchsichtiger Dschungel ist. Ziel muss es doch sein, dass insbesondere die Unternehmen gefördert werden, die zum Schutz unserer Lebensgrundlagen beitragen. Und dazu wollen wir beitragen, indem wir mehr Klarheit und Transparenz schaffen.

Auch die Außer-Haus-Verpflegung spielt eine wichtige Rolle in unserer Bio-Strategie. Wir sprechen hier von 40 Millionen Mahlzeiten, die täglich ausgeben werden. Drei Maßnahmen richten sich ganz gezielt an Kantinen, Mensen und Co. Es geht darum, den Bio-Anteil in den Kantinen der Bundesverwaltung sowie anderen öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Außerdem wollen wir die Beratung umstellungsinteressierter Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung weiter stärken. Gleichzeitig geht es darum, den Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung den Einsatz von Bio-Lebensmitteln zu erleichtern und damit Hürden abzubauen.

Meine Damen, meine Herren, wir alle stehen vor der Notwendigkeit, die Landwirtschaft und Ernährung krisenfest aufzustellen. Wie dringlich das ist, dürften die vergangenen Wochen noch einmal gezeigt haben. Ganze Landstriche, die unter Wasser stehen. Bäume, von denen nur noch die Wipfel aus dem Wasser ragen. Da hat man übrigens auch gesehen, wie wichtig Landwirtinnen und Landwirte für den Zusammenhalt im ländlichen Raum sind.

Sie waren mit die ersten, die geholfen haben. Wenn der Nachbar absäuft, dann wartet man nicht auf den Staat, sondern hilft – und genau das haben viele Landwirtinnen und Landwirte getan. Gleichzeitig erklären Expertinnen und Experten, diese Wetterextreme seien Teil einer neuen Normalität. Aber es liegt auch in unserer Hand, was künftig tatsächlich normal ist. Wir müssen alles dafür tun, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Und dabei spielt der ökologische Landbau eine wichtige Rolle.

Wir reden beim Öko-Landbau über geringere Umweltkosten, halbierte Treibhausgas-Emissionen im Pflanzenbau, über eine größere Artenvielfalt auf den Flächen, Ressourcenschutz wie beim Wasser, über mehr Humus und fruchtbare Böden oder die Kohlestoffspeicherung. Und wir reden über neue Ideen, über Innovationen. Kommende Woche werde ich wieder die drei besten Betriebe mit Vorbildcharakter mit dem Bundespreis ökologischer Landbau auszeichnen. Sie zeigen, wie die Zukunft der Landwirtschaft aussehen kann.

Wichtig ist außerdem, dass Bio nicht nur viele Vorteile für Umwelt, Klima und Biodiversität hat. Die wirtschaftlichen Aspekte der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft sind ebenfalls erheblich! Bio steht auch für eine Stärkung der regionalen Wirtschaft und des Mittelstandes, genau wie für Innovation. Vieles, was auf den Öko-Betrieben erprobt wird, geht danach in die breite Anwendung über. Auch sind viele Hersteller von Bio-Produkten Vorreiter im nachhaltigen Handeln und zeigen wie ganzheitliches Wirtschaften funktionieren kann. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir die Forschungsstrategien und -programme künftig noch stärker auf die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft ausrichten. So wie es unsere Bio-Strategie 2030 vorsieht.

Ich wünsche mir, dass diese Erkenntnis bei noch mehr Menschen ankommt. Dazu tragen Sie mit Ihrer Arbeit bei. Und wir mit unserer Politik. Vielleicht sollten wir dabei in Zukunft weniger von den Bio-Landwirtinnen und Landwirten sprechen. Das klingt immer so, als gäbe es "die Bios" und die anderen. Dabei gibt es "den Bio-Landwirt" überhaupt nicht. Was es gibt, sind Landwirtinnen und Landwirte, die sich für Bio entscheiden − ganz bewusst. Wir sprechen hier über eine zutiefst persönliche und zugleich unternehmerische Entscheidung. Eine Entscheidung, die zwischen 2010 und 2020 auf mehr als 13.000 Betrieben getroffen wurde.

Warum? Weil Bio ein möglicher Entwicklungspfad für Landwirtinnen und Landwirte ist. Ein Geschäftsmodell, auch im Sinne von "Mehr Wertschöpfung und Wertschätzung".

Mit unserer Politik wollen wir die Möglichkeit stärken, auf Bio umzusteigen. Und Sie sind dabei unverzichtbar. Ich danke Ihnen herzlich für den Austausch und die immer faire Zusammenarbeit in den vergangenen Monaten. Ihr Wissen und Ihre Erfahrungswerte sind für uns von unschätzbarem Wert. Mit unserer Bio-Strategie 2030 haben wir den Fahrplan für unser 30-Prozent-Ziel vorliegen.

Jetzt können wir gemeinsam loslegen!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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