In Deutschland entscheiden die Bürgerinnen und Bürger selber, was sie essen.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir im Bundestag zur Ernährungsstrategie am 11. April 2024 im Deutschen Bundestag

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede, 

Essen soll schmecken, gerne auch Freude bereiten. Bunt, vielfältig darf es sein. Das muss immer an erster Stelle stehen.

Bei manchen hört allerdings der Spaß auf, wenn es ums Essen geht, beispielsweise beim bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Söder. Für ihn ist man fast erst dann ein guter Bürger, wenn man den ganzen schönen Tag lang Leberkäse isst. Ich gönne ihm das. Ich hoffe, dass er zwischendrin auch noch Zeit zum Regieren findet. Aber auch Herr Söder weiß: In Deutschland entscheiden die Bürgerinnen und Bürger selber, was sie essen. Und auch kein Ministerpräsident hat ihnen da Vorschriften zu machen. Es geht uns im Einzelfall auch gar nichts an. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland entscheiden Sie selbst, was Sie essen und was Sie nicht essen.

Aber um auch das zu sagen: Nicht jeder, der schlecht isst, und nicht jede, die schlecht isst, möchte das so.

Wir alle wollen doch, dass alle in unserem Land eine faire Chance haben, gesund alt zu werden, gesund aufzuwachsen. Der große Liberale Lord Dahrendorf hat es einstmals in einem wunderbaren Satz auf den Punkt gebracht: "Eine Bildungsrepublik kann am Mittagessen scheitern." Essen entscheidet über Lebenschancen. Das fängt bei den Kleinsten an. Deshalb sollten es möglichst alle leicht haben, gut und gesund zu essen, wenn sie es denn wollen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, unabhängig von ihrem Wohnort, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

Und genau das unterstützen wir mit dieser Ernährungsstrategie. Mir ist wichtig, deutlich zu machen: Sie ist eine Strategie des Ermöglichens und der Wahlfreiheit. Gut und gesund essen, wenn Sie es wollen, genau das wird den Menschen im Alltag bei uns im Land – das muss man ehrlicherweise sagen – nicht immer leichtgemacht. Ich denke hier – wir alle kennen die Beispiele:

  • an Kitas,
  • an Schulen,
  • an Kantinen,
  • an Krankenhäuser.

In Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung essen täglich 17 Millionen Menschen, davon gut 6 Millionen Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen. Was da auf den Teller kommt, ist für mich nicht nur eine Frage des Respekts, sondern es ist, positiv gewendet, auch eine Riesenchance – eine Riesenchance für alle, die gesund essen wollen. Es ist eine Riesenchance für unsere Wirtschaft, für unsere Unternehmen, die nachhaltige Lebensmittel und Mahlzeiten herstellen. Es ist eine riesige Chance, die Wertschöpfung einer pflanzenbetonten Ernährung mit saisonal-regionalen Lebensmitteln aus unserer einheimischen deutschen Landwirtschaft zu stärken. Und noch dazu können wir damit Klima und Artenvielfalt schützen.

In diesem Sinne ist gutes Essen ein Gewinn in jeder Hinsicht. Und wir sollten uns eigentlich alle dahinter versammeln können. Und genau dafür steht unsere Strategie. Die Maßnahmen der Ernährungsstrategie umfassen unter anderem: die Förderung nachhaltiger Ernährungsumgebungen, die Menschen echte Auswahl bieten und es ihnen einfacher machen, gut und lecker zu essen; gutes Schul- und Kitaessen durch verbindliche Qualitätsstandards, das mit Ernährungsbildung für Kinder und Erziehende Hand in Hand geht; ein gesünderes Angebot durch weniger Zucker, Salz, ungünstige Fette in Fertigprodukten; ein nachhaltigeres Angebot durch die Erhöhung des Bioanteils in der Gemeinschaftsverpflegung, durch die Förderung innovativer pflanzlicher Proteinprodukte und schließlich die Forschung zur Ernährungssituation in armutsgefährdeten Haushalten, zu Erfolgsfaktoren der Regionalvermarktung und zu einer Ernährung, die reich ist an Obst und Gemüse, an Hülsenfrüchten.

Nicht zuletzt geben uns auch die Empfehlungen des Bürgerrats Rückenwind. Man sollte die Empfehlungen des Bürgerrats übrigens nicht nur dann ernst nehmen, wenn sie einem gerade in die Agenda passen, sondern grundsätzlich immer, wenn man das mit der Bürgerbeteiligung ernst meint.

Die Ernährung in Deutschland wandelt sich, und zwar nicht, weil ich es verordne oder weil es meine Vorgängerinnen und Vorgänger verordnet haben, sondern weil die Leute selber für sich und ihre Familien das Beste wollen. Sie achten stärker auf die Gesundheit, auf die Umwelt, auf das Wohl von Tieren. Viele essen heute weniger, aber dafür ganz bewusst Fleisch.

Ich war im November beim Fleischkongress in Mainz. Da kam nach der Veranstaltung ein Mann zu mir, stellte sich als Metzger vor und sagte zu mir: Meine Frau ist Vegetarierin, und wir lieben uns. Ich habe ihn angeschaut – seine Frau war nicht mit dabei - und ich dachte mir: Das ist genau das Deutschland, wie ich es mir wünsche. Wir respektieren uns in unserer Vielfalt. Der eine ist aktiver Metzger und seine Frau Vegetarierin, und sie können sich trotzdem lieben und gemeinsam zusammen sein.

Deshalb sollten wir diese Debatte vielleicht auch nutzen – man darf am Beginn einer solchen Debatte ja Hoffnung haben – und dem Kulturkampf ums Essen eine Absage erteilen. Der hilft wirklich niemandem, am wenigsten unseren Landwirten, am wenigsten unseren Bürgerinnen und Bürgern.

Wir sollten die Veränderungen als Chance begreifen. Sie sind alle herzlich eingeladen, an dieser Strategie zum Wohle unserer Bevölkerung mitzuwirken!

Herzlichen Dank.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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