Jetzt geht es darum, Schritt für Schritt notwendige Veränderungen zu gestalten
Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Deutschen Bauerntag 2024 in Cottbus am 27. Juni 2024
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
Natürlich habe ich auch gelesen, wieviel Prozent der Landwirtinnen und Landwirte bei der Europawahl meine Partei gewählt haben sollen. Für die entsprechende Zahl braucht es nicht mal alle Finger einer Hand. Ich denke, da kann ich so weit gehen: Wer immer sein Kreuz da gemacht, für den gehen Wein oder Bier auf meinen Deckel. Ich glaube, das kann ich mit Münzgeld bezahlen. Für den Kollegen Hermann Färber wird es etwas teurer. Mit ihm habe ich vereinbart, dass er denjenigen, die ihr Kreuz bei der Union gemacht haben, eine Runde ausgibt. Oder habe ich Dich da falsch verstanden, Hermann?
Wie auch immer, dafür sind wir ja nicht hier. Ich bin hier, weil es genug zu besprechen gibt – und ich eine sachliche, gute und auch kritische Debatte sehr schätze. Denn nur so kommen wir zu guten Entscheidungen, die nicht nur von der eigenen Blase, sondern von möglichst vielen mitgetragen werden. Das gilt hier in Deutschland, aber auch in Europa.
Ich habe die Europawahl eben angesprochen. Wir alle wissen, dass die EU eine wichtige Rolle für die Agrar- und Ernährungswirtschaft bei uns spielt. Dass wir immens davon profitieren, Teil dieses großen Binnenmarktes zu sein. Natürlich müssen wir uns auch kritisch mit der EU auseinandersetzen – auch mich macht nicht alles glücklich, was aus Brüssel kommt. Aber die Europäische Union ist ganz sicher der wirkungsvollste Beitrag zum Erhalt von Freiheit, Demokratie und Wohlstand, den wir haben.
Herr Rukwied hat das gestern in seiner Rede mit einem klaren Bekenntnis zu Europa ebenfalls betont. Deshalb muss bei allen Meinungsverschiedenheiten und gerade nach dieser Europawahl immer klar sein: Die Unterschiede, die wir Demokraten untereinander haben, sind immer kleiner, als das, was uns Demokraten von Anti-Demokraten trennt. Da darf es kein Vertun geben.
Meine Damen und Herren,
vor 25 Jahren fand hier in Cottbus schon einmal ein Bauerntag statt. Es war der erste in einem ostdeutschen Bundesland nach der Wiedervereinigung. Ich habe mal in die Rede meines Vorgängers Karl-Heinz Funke geschaut, den ich gerade erst kürzlich getroffen habe. Man wundert sich manchmal, wie die Zeiten sich gleichen. Denn es ging um die Sparpolitik der Bundesregierung. Es ging um Kritik an Einschnitten bei der Landwirtschaft. Manche sahen sogar den Untergang der deutschen Landwirtschaft kommen. Das ist offenkundig nicht eingetreten. Aber so wie damals geht es auch heute um die bestmöglichen Rahmenbedingungen für unsere Landwirtschaft.
Noch vor ein paar Monaten haben Sie demonstriert – und Sie hatten einen guten Grund dazu. Wir haben uns häufig gesehen. Am Brandenburger Tor, in Ellwangen am Kalten Markt, in Biberach, Erfurt, bei den Obstbautagen in Jork, in Bissingen beim Besuch der Molkerei Gropper und am Bodensee. Das sind nur einige Orte, wo Sie protestiert haben und wo wir miteinander gesprochen haben. Und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Das waren Proteste, die das Land bewegt haben – und vor allem: die es friedlich bewegt haben.
Herr Rukwied hat gestern unmissverständlich klargemacht, dass der Berufsstand eine stabile Säule unserer Demokratie ist. So nehme ich es auch wahr. Demonstrationen gehören zu unserem demokratischen Selbstverständnis dazu – und wenn sie friedlich verlaufen, dann ist das eine Bestätigung dieses Selbstverständnisses. Und das ist zuallererst einmal etwas Gutes!
Weniger gut waren die Gründe des Protests. Der Beschluss zum Agrar-Diesel und zur Kfz-Steuerbefreiung war in dieser Form falsch. Er war ohne Maß und Mitte. Die Betroffenen wurden weder gefragt noch einbezogen. Und es gab auch keine ausreichende Kompensation für so kurzfristige Veränderungen. Das habe ich von Anfang gesagt und mich dafür eingesetzt, dass diese Beschlüsse korrigiert werden. Das passierte spät, aber letztlich mit Erfolg. Das Grüne Kennzeichen bleibt. Und die Agrardiesel-Beihilfe wird schrittweise gesenkt. Das ist für manche immer noch zu wenig, aber es ganz sicher nicht nichts. Auch bei der Bewertung von Kompromissen braucht es Maß und Mitte. Auch das gehört zu unserer Demokratie und politischen Kultur. Das ist ein Kompromiss! Aber ich bleibe bei diesem Kompromiss auch nicht stehen.
Denn wir alle wissen, dass es um mehr geht als den Agrardiesel! Er ist zum Symbol geworden für die Versäumnisse und nicht gehaltenen Versprechen der Vergangenheit. Seien wir ehrlich miteinander: Ich habe ein bis zum Anschlag gefülltes Fass mit Enttäuschungen und Frust geerbt, als ich Minister wurde. Denken Sie an die Beschlüsse der Borchert-Kommission und der ZKL. Diese Papiere lagen bei der Vorgängerregierung in Zeiten niedriger Inflation und sprudelnder Steuereinnahmen zum Einstauben in der Schublade. Ich weiß, dass manche das nicht hören wollen – vielleicht auch aufgrund gewisser parteipolitischer Verbundenheit.
Ich kann Kritik abhaben. Das haben Sie hoffentlich gemerkt, als ich mich bei den Protesten nicht weggeduckt habe. Das gehört zum Job eines Ministers dazu! Aber ich packe jetzt Dinge an, die viel zu lange liegen geblieben sind. Und bei aller Kritik sollte man immer dazu sagen, wer die Dinge in der Vergangenheit liegen gelassen hat!
Jetzt geht es darum, Schritt für Schritt notwendige Veränderungen zu gestalten.
- Mit guten und machbaren Kompromissen, auf die Sie sich verlassen und mit denen Sie planen können.
- Mit guten und machbaren Kompromissen, die niemanden überfordern – aber auch niemanden unterfordern.
Natürlich könnten wir auch den bequemen Weg nehmen – aber der bequeme Weg führt geradewegs in die Sackgasse. Das sollten wir in Deutschland inzwischen wirklich verstanden haben, wenn ich mir so anschaue, wie es um Digitalisierung, Zustand der Infrastruktur oder unsere Wehrhaftigkeit bestellt ist. Was hat denn die deutsche Landwirtschaft davon, wenn wir nur so tun, als ob wir die Klimakrise und den Verlust der Artenvielfalt ernst nehmen – mit all ihren brutalen Folgen, die Sie als erstes spüren, wenn die Ernte absäuft oder vertrocknet?
- Denken wir nur an die Landwirtinnen und Landwirte im Süden des Landes, deren Ernten teilweise komplett zerstört worden sind, weil Felder tagelang unter Wasser standen. Und die jetzt um ihre Felder bangen müssen, weil sie durch Schadstoffe belastet werden.
- Oder an die Obst- und Weinbaubetriebe in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die aufgrund der Spätfröste in diesem Jahr ihre Ernten verloren haben.
Wir müssen gegensteuern, damit die Katastrophe nicht zur Regel wird.
Aber natürlich gilt auch: Was hat unser Land davon, wenn wir ignorieren, dass unsere Landwirtinnen und Landwirte wettbewerbsfähig sein müssen? Beispielsweise, wenn es um den Mindestlohn geht. Ich nenne dieses Beispiel bewusst. Denn es zeigt: Eine Lösung, die die einen bejubeln, kann für andere ein Problem sein. Wenn wir in der Politik eine Mindestlohnkommission einsetzen, dann braucht es keinen politischen Überbietungswettbewerb dazu. Es muss immer um Maß und Mitte gehen. Es gibt bei jeder agrarpolitischen Frage berechtigte Interessen und Ziele, denen wir gerecht werden müssen. Und da kann ich immer wieder nur betonen: Es geht um gute Kompromisse, für die sich alle bewegen müssen – alle!
Beim Agrarpaket haben sich alle bewegt – und zwar in die richtige Richtung! Jetzt kommt endlich die mehrjährige steuerliche Gewinnglättung zur besseren Risikoabsicherung der Landwirtinnen und Landwirte. Die Entlastung der Land- und Forstwirtschaft wird rückwirkend ab 2023 für sechs Jahre bis 2028 gelten. Dadurch kann es bei stark schwankenden Gewinnen zu einer Steuerermäßigung kommen, indem die nachteilige Wirkung der Progression abgemildert wird. Es können also wieder gute mit schlechten Jahren ausgeglichen werden. Das war eine zentrale Forderung von Ihnen – und wir liefern!
Mit dem Agrarpaket stärken wir außerdem die Stellung der Landwirte in der Wertschöpfungskette. Politik und Gesellschaft erwarten, dass Sie, unsere Landwirtinnen und Landwirte, nachhaltig arbeiten und zugleich hochwertige und bezahlbare Lebensmittel erzeugen sollen. Dann muss uns dieser Aufwand auch etwas Wert sein. Lieferbeziehungen müssen möglichst ausgewogen sein, damit Höfe für ihre Leistungen auch auskömmliche Preise erzielen können. Deshalb werden wir das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz weiter nachschärfen. Wir sehen, dass das Gesetz jetzt schon wirkt! Aber unser Ziel ist es, Umgehungstatbestände auszuschließen, um das Gesetz noch praxisnäher zu gestalten. Es muss uns gelingen, dass für alle am Markt agierenden Akteure Wettbewerbsgleichheit herrscht – und nicht diejenigen am Ende die Dummen sind, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen.
Das von Regierungsfraktionen geeinte Agrarpaket entlastet unsere landwirtschaftlichen Betriebe, schafft Planungssicherheit und finanzielle Spielräume. Es stärkt nicht nur die Position der Landwirtinnen und Landwirte in der Lebensmittelkette. Es reduziert auch bürokratische Pflichten und sorgt für weitere Entlastungen und Vereinfachungen vor allem im Rahmen der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP). Auf weitere Details hierzu komme ich später noch zu sprechen.
Mir geht es auch darum, die Rahmenbedingungen der Tierhaltung spürbar zu verbessern. Denn wir brauchen Tierhaltung, um in möglichst geschlossenen Kreisläufen zu wirtschaften. Gerade deshalb können wir nicht einfach so weitermachen wie bisher. Pro Tag geben zehn landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland auf. Allein die Zahl der Schweine haltenden Betriebe hat sich zwischen 2010 und 2020 fast halbiert. Gleichzeitig sinkt der Fleischkonsum in Deutschland. Nehmen wir das Beispiel Schweinefleisch: Lag der Pro-Kopf-Verzehr 2010 noch bei 40 Kilogramm, waren es 2022 noch 29 Kilogramm. Soviel Nürnberger Bratwürste kann ein Markus Söder gar nicht essen, um diesen Rückgang auszugleichen. Kurzum: Gerade damit es weiterhin gutes Fleisch aus Deutschland gibt, packen wir die Weiterentwicklung der Tierhaltung jetzt an.
Mit dem Bundesprogramm zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung haben wir losgelegt. Das Programm läuft seit Anfang März. Damit unterstützen wir Betriebe, die ihre Ställe für eine tier- und umweltgerechtere Haltung umbauen wollen. Mittlerweile beträgt das beantragte Gesamtvolumen fast 120 Millionen Euro. Wir unterstützen sie erstmalig auch bei den laufenden Mehrkosten für mehr Tierwohl. Das zeigt allen Unkenrufen zum Trotz, dass es einen Bedarf gibt und wir an der richtigen Stelle ansetzen.
Außerdem haben wir die transparente staatliche Tierhaltungskennzeichnung eingeführt. Damit könne die Leute informiert einkaufen und wertschätzen, was Sie alle leisten. Das Kennzeichen macht es für die Leute erstmals überhaupt möglich, sich für eine bestimmte Qualität zu entscheiden. Wir haben jetzt mit dem Schweinefleisch an der Frischetheke angefangen. Danach geht es weiter mit anderen Nutztierarten. Wir wollen viele Vertriebswege einbeziehen. Ich sehe bei der Außerhaus-Verpflegung, also in Kantinen und Gastronomie, einen riesigen Hebel.
Die Herkunftskennzeichnung haben wir auf nationaler Ebene geregelt, soweit wie es möglich ist. Seit Februar gilt sie für frisches, gekühltes und gefrorenes Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch und genauso für Hackfleisch. Außerdem bereiten wir eine Ausweitung der Herkunftsangaben auf Fleisch in der Außer-Haus-Verpflegung vor. Zugleich mache ich in Brüssel Druck für europaweit geltende Standards. Die Europäische Kommission unter Frau von der Leyen hat da bisher nicht das geliefert, was sie zugesagt hat. Jetzt bekommt sie wohl eine neue Chance. Da wäre es dann natürlich gut, wenn auch ihre Parteifreunde aus Deutschland entsprechend Druck machen. Ich konnte Länder wie Österreich, Spanien und Frankreich bereits als Unterstützer gewinnen. Wir wollen, dass bei deutlich mehr Lebensmitteln als bislang kenntlich gemacht werden muss, wo sie produziert wurden. Es braucht zügig diese Ausweitung, damit Verbraucherinnen und Verbraucher informierte Kaufentscheidungen treffen können – und damit Landwirtinnen und Landwirte ihre Leistungen transparent vermarkten können.
Wir sind auf dem Weg in eine zukunftsfeste Tierhaltung jetzt soweit, wie es andere immer nur versprochen haben. Natürlich sind wir noch lange nicht am Ziel. Ich weiß, dass manche von Ihnen auf Ihren Höfen um Existenz und Zukunft kämpfen. Wir führen nun schon lange eine Debatte, welches Finanzierungsinstrument geeignet ist, um Tierwohl zu fördern und Sie dabei zu unterstützen. Jeder Vorschlag hat Vor- und Nachteile, ob Tierwohlabgabe oder Mehrwertsteuer. Aber immer laut "Borchert-Kommission" rufen und sich einen schlanken Fuß machen, wenn es um die Mühen der Ebene geht, bringt gerade den kleinen und mittelständischen Familienbetrieben rein gar nichts. Diese Betriebe sind das Rückgrat unserer Dörfer und ländlicher Räume. Ich weiß das – ich hoffe alle anderen auch. Deshalb kann ich nur an alle appellieren, sich zu bewegen, damit wir bei der Tierhaltung und beim Tierwohl zu guten Lösungen kommen. Damit auch morgen gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt.
Sich bewegen, um zu guten Lösungen zu kommen – das gilt auch beim Düngerecht. Der Bundestag hat Änderungen des Düngegesetzes beschlossen. Nun steht die Befassung im Bundesrat an. Wir haben dieses Gesetz nicht aus Jux und Dollerei erarbeitet. Es gibt eine fundamentale Notwendigkeit. Wir haben Landstriche in Deutschland, wo Böden überdüngt und die Nitratwerte im Grundwasser zu hoch sind. Die steigenden Kosten für sauberes Trinkwasser treffen alle Bürgerinnen und Bürger. Und warum ist das so? Weil die mangelnde Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie der scheinbar bequeme Weg war und wir in die Sackgasse gelaufen sind.
Diese Sache treibt uns jetzt schon so lange um – da waren die meisten Spieler unserer großartigen deutschen Fußballnationalmannschaft noch gar nicht geboren!
- Seit 1991 ist die EU-Nitratrichtlinie die rechtliche Grundlage für die sachgemäße Düngung.
- Sie war bis Ende 1993 in nationales Recht umzusetzen.Aber frühere Regierungen und Interessenvertretungen hatten anderes im Sinn.
- 2012 hat die Europäische Kommission konkrete Änderungen an bestehenden Düngeregeln angemahnt.
- 2016 hat die EU-Kommission Deutschland verklagt.
- 2018 hat der Europäische Gerichtshof der EU-Kommission im Klageverfahren gegen Deutschland Recht gegeben – und zwar in allen Punkten. Und auch in den Folgejahren gab es weiterhin keine Lösung, die die EU-Kommission zufriedengestellt hat.
- Erst 2023 wurde das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingestellt, weil wir neue Düngeregeln in enger Abstimmung mit Verbänden, Ländern sowie der EU erarbeitet und beschlossen haben.
Wir haben damit rückwirkende Zwangsgelder von bis zu 800.000 Euro pro Tag verhindert.
Dieser historische Exkurs ist mahnendes Negativbeispiel und Ergebnis von 30-jähriger politischer Bequemlichkeit und Ignoranz – anders kann man es nicht nennen. Man weiß, dass es einem irgendwann auf die Füße fällt und überlässt es einfach der nächsten Regierung. Und die der nächsten Regierung. Und so weiter. Die Konsequenz: Fehlende Planungssicherheit und Sippenhaft für die, die das Problem gar nicht verursachen. Damit muss doch irgendwann mal Schluss sein – und irgendwann ist jetzt! Wir schaffen jetzt Planungssicherheit und stärken das Verursacherprinzip.
Ja, das ist auch mit einem Aufwand für die Betriebe verbunden. Aber robuste Zahlen brauchen wir ja nicht nur deshalb, weil die EU-Kommission sie fordert. Wir brauchen sie, weil sie für ein wirksames Verursacherprinzip notwendig sind! Und wir brauchen sie, ganz egal, wer regiert. Deshalb: Wer sich über das Düngegesetz ärgert, darf seinen Zorn gerne dort abladen, wo er hingehört – nämlich bei denen, die seit Jahrzehnten alles dafür getan haben, damit dieses Problem nicht gelöst wird. Wer diese Kompromisse und das neue Düngegesetz jetzt schlecht redet und aufkündigen möchte, der muss dann sagen, wie es rechtskonform anders gehen soll. Dann droht ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren mit horrenden Strafzahlungen. Das kann doch keiner wollen, dass wir deshalb Millionen oder gar Milliarden zahlen müssen, während ich im Kabinett um jeden Euro für die Landwirtschaft kämpfe. So ehrlich müssen wir miteinander sein!
Meine Damen, meine Herren,
ich werde nicht müde, es zu betonen: Um Lösungen zu finden, muss man aufeinander zugehen.
In Baden-Württemberg oder in Niedersachsen hat man beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vorgemacht, wie das gehen kann. Dort haben Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam einen guten Weg gefunden, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu senken. Genau dieser Gedanke liegt auch dem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz zugrunde, das wir aufs Gleis gesetzt haben. Wir haben zuerst einmal ein Ideenpapier vorgelegt. Damit haben wir einen breit angelegten Prozess mit allen relevanten Verbänden und Akteuren aus Landwirtschaft und Umweltseite gestartet.
Was in Brüssel bei der SUR von anderen verbockt wurde, das können wir doch hierzulande gemeinsam besser machen. Wir haben ganz bewusst einen offenen Prozess gestartet und explizit nicht per Ordnungsrecht geregelt. Da muss ich mich schon wundern, wenn ein einladendes Ideenpapier öffentlich als ein angebliches Rückbauprogramm der Landwirtschaft diskreditiert wird. Wir als BMEL setzen vor allem auf Kooperation und Anreize, auf Unterstützung und Beratung. Und dazu gehört natürlich auch innovative Technik. Die Grundlagen für den von uns angestoßenen Prozesse sind wissenschaftliche Erkenntnisse, Erfahrung aus der landwirtschaftlichen Praxis und der Konsens der ZKL. Ich möchte das in aller Klarheit sagen: Wenn es um gute Lösungen für unsere Landwirte geht, bin ich der Erste, der auf dem Platz steht – konstruktiv muss es sein, damit wir es besser machen können.
Besser machen als früher kann man es sicher auch beim Abbau unnötiger Bürokratie. Ich weiß, wie sehr Sie das umtreibt. Wieviel Zeit und Nerven Sie manche Melde- und Dokumentationspflicht kostet. Es gibt vermutlich kein Thema, auf das ich bei meinen Hofbesuchen mehr angesprochen werde. Dazu gibt es dann immer gleich eine Handvoll konkreter Beispiele, wo auch ich mich dann frage: Ist jede dieser Maßnahme wirklich sinnvoll und durchdacht? Braucht’s das wirklich? Meine Position ist hier ganz klar: Bürokratie soll für Verlässlichkeit, Rechtssicherheit und die Einhaltung wichtiger Standards sorgen. Dafür ist sie unerlässlich. Sie darf aber nicht unnötig aufwändig, praxisfern und innovationshemmend sein. So eine Bürokratie schadet. Es muss uns endlich gelingen, dass die Arbeit am Schreibtisch einfacher und unbürokratischer wird, damit mehr Zeit für die Arbeit auf dem Feld und im Stall bleibt.
Aber machen wir uns nichts vor: Das ist mühsam und kleinteilig. Und es ist auch nicht so, dass alle gleichermaßen applaudieren. Es gibt unterschiedliche Interessen und Notwendigkeiten – und deshalb geht es auch beim Abbau von Bürokratie um Maß und Mitte. Einfach pauschal alles abzulehnen ist genauso wenig eine Lösung wie alles im Detail zu regeln. Das ist auch für ein Ministerium eine Herausforderung, das gebe ich gerne zu. Denn natürlich stehen wir vor der Aufgabe, Regelungen abzubauen– aber wenn dann konkrete Missstände auftreten, dann heißt es in der Gesellschaft: Warum gibt es dafür keine Regelung?
Das Agrarpaket bekräftigt unsere Initiativen zum Bürokratieabbau der vergangenen Wochen. Gemeinsam mit den Ländern haben wir zahlreiche Punkte festgehalten, geprüft und umgesetzt.
- Da geht es zum Beispiel darum, dass verlorene Ohrmarken bei Mutterkühen, Schafen oder Ziegen nicht mehr drastisch sanktioniert werden. Und man darf sich fragen, warum diese unsinnige Regelung nicht schon früher korrigiert wurde. Wir gehen da ran und räumen auf.
- Auch der Nachweis für den aktiven Betriebsinhaber muss jetzt nicht mehr jedes Jahr erneuert werden.
- Im Bereich der Agrarförderung der Gemeinsamen Agrarpolitik konnten wir schon einiges optimieren. Dazu gehört, dass wir den Kontroll- und Verwaltungsaufwand reduzieren und Fördermaßnahmen flexibilisieren.
- Zu den Melde- und Dokumentationspflichten im Pflanzenbau planen wir noch im Sommer einen Praxischeck.
- Mit der Abschaffung von Kontrollen und Sanktionen bei Betrieben bis zu 10 Hektar landwirtschaftlicher Fläche wollen wir insbesondere kleine Betriebe schnell und unmittelbar entlasten.
- Und auch an Vereinfachungen bei den Meldepflichten für Tierhalter arbeiten wir. Die Digitalisierung des Rinderpasses wird im Zuge der Anpassung des nationalen Rechts an das EU-Recht erfolgen.
Außerdem wollen wir noch dieses Jahr im Lebensmittelhandwerk und zusammen mit dem Wirtschaftsministerium einen Praxischeck auf den Weg bringen.
Natürlich geht es nicht ohne bürokratische Regelungen und Nachweispflichten – aber besser werden können wir hier auf jeden Fall! Ich freue mich daher weiterhin über jedes Beispiel aus der Praxis, dessen Sinn oder Unsinn wir hinterfragen können. Ich freue mich natürlich auch über gute Hinweise aus der Opposition, denn dort kennt man sich mit dem gewachsenen bürokratischen Unsinn ja besonders gut aus.
Apropos Sinn und Unsinn: Es ist prinzipiell schön, dass der Wolf in Europa wieder da ist – aber in der Landwirtschaft hat er nichts verloren. Landwirtinnen und Landwirten erwarten von uns zu Recht rechtssichere Lösungen und konkrete Unterstützung. Es ist unsere – auch meine – Aufgabe, das zu organisieren, damit Schafe, Ziegen oder Kälber sicher auf der Weide stehen. Die wachsende Wolfspopulation stellt die Weidehalter vor enorme Herausforderungen. Jeder Wolfsriss ist mit wirtschaftlichen und psychischen Belastungen verbunden. Deshalb müssen Weidetiere Sicherheit vor dem Wolf haben.
Für mich gilt: Wenn es konkrete Probleme mit konkreten Wölfen gibt, sind Abschüsse notwendig. Punkt. Der einfachere Abschuss auffälliger Wölfe muss funktionieren. Gerade aus naturschutzfachlicher Sicht ist es wichtig, dass die Weidetierhaltung die Artenvielfalt im Offenland weiterhin sichert. Wollen wir da jetzt ernsthaft überall Zäune einziehen? Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie der Wolfsschutz auf diesen Almen – oder an unseren Deichen – mit Zäunen aussehen sollte. Es war ein richtiger Schritt, die Regeln zur Wolfsentnahme zu lockern. Wir müssen jetzt aber den nächsten Schritt angehen. Ich werde mich deshalb der Absenkung des Schutzstatus der europäischen Wölfe sicher nicht in den Weg stellen. Es ist jetzt kein Geheimnis, dass das kontrovers gesehen wird. Aber der bequeme Weg darf auch hier keine Option sein. Aber eines will ich an dieser Stelle schon mal sagen: Wir reden uns den Mund fusselig über den Wolf. Zurecht!
Es sind aber nicht nur Weidetiere bedroht. Die Artenvielfalt ist grundsätzlich bedroht – und damit auch Ihre Geschäftsgrundlage und unsere Ernährungssicherheit. Von einheimischen Tierarten sind 35 Prozent bestandsgefährdet. Rund 34.000 Arten sind vom Aussterben bedroht. Nehmen wir Insekten. Sie sind ein unverzichtbarer Teil der Nahrungskette. Sie sind wichtig für die Qualität der Böden. Sie sind unerlässlich als Bestäuber. Und da würde ich gerne weniger über den Wolf reden müssen – und anstatt dessen mehr über Schmetterlinge, Libellen, Hautflügler und andere Insekten, die für uns lebenswichtig sind. Die Aufmerksamkeit, die manche für den Wolf aufbringen, würde ich mir für den Apollofalter wünschen – wenn’s wirklich um Naturschutz geht. Da dürfen wir uns alle mal kritisch hinterfragen.
Ich habe die Arbeit oben auf den Almen und auf den Bergbauernhöfen angesprochen. Sie sind der Garant für eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft. Nur eine aktive Landwirtschaft auf den Almen kann den Reichtum unserer Bergregionen erhalten. Nur sie kann diese Regionen als intakten Natur-, Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum sichern!
Und wenn es um die Zukunft der Milchviehhaltung und der Almwirtschaft geht, ist natürlich ein Thema immer präsent: die Anbindehaltung! Ich habe dazu viele Gespräche geführt, mir persönlich einen Eindruck von der Realität auf unseren Betrieben verschafft – so wie ich es immer mache, bevor ich mir eine Meinung bilde und eine Entscheidung treffe. Wir haben jetzt ein Gesetz im Kabinett verabschiedet, bei dem es natürlich auch darum ging, verschiedenen Interessen bestmöglich gerecht zu werden. Das war nicht einfach. Da gibt es Zielkonflikte.
Aus fachlicher Sicht ist es unstrittig, dass bei der Anbindehaltung das artgerechte Verhalten von Rindern erheblich eingeschränkt wird. Sie ist daher mit einem modernen Tierschutzverständnis nicht zu vereinbaren. Aber natürlich müssen wir auch bedenken, was das konkret für die Almbewirtschaftung und die Pflege gerade der Kulturlandschaften in Süddeutschland bedeutet. Zum einen stellen wir uns der Verantwortung, den Schutz der Tiere zu stärken, die wir für die Pflege dieser Landschaften brauchen. Zum anderen geht es darum, unserer Verantwortung für die wertvollen und artenreichen Kulturlandschaften mit ihren Almen, Wiesen und Weiden gerecht zu werden. Betriebe, die ihre Rinder bisher angebunden gehalten haben, bekommen nach unserem Gesetzentwurf verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten. Der Umbau zu bzw. der Neubau von Laufställen wird den Ansprüchen der Rinder an Bewegung und Sozialkontakten außerhalb der Weidezeit am ehesten gerecht. Wenn dies nicht möglich ist, kann nach Ablauf einer zehnjährigen Übergangsfrist im Ausnahmefall eine zeitweise Anbindehaltung fortgeführt werden. Dabei sollen die Rinder in der Weidezeit Zugang zur Weide und außerhalb der Weidezeit mindestens zwei Mal in der Woche Zugang zu einem Freigelände haben. Mit dieser Ausnahme wollen wir gewährleisten, dass bestehende Rinderhaltungen, die bei der Pflege von Almen und artenreichem Grünland eine wichtige Rolle spielen, eine angemessene Übergangszeit erhalten.
Tierhaltung ist hier praktischer Biodiversitätsschutz! Die Kuh auf der Weide ist ein starker Verbündeter des Naturschutzes in Deutschland. Und die Kombi-Haltung ist ein klassischer Kompromiss zwischen Tierschutz und Naturschutz. Mir ist bewusst, dass die angedachte Ausnahmeregelung für die einen noch nicht praktikabel genug ist und den anderen bereits viel zu weit geht. Auch bei diesem Kompromiss galt und gilt für mich, dass es Maß und Mitte braucht, damit Veränderungen zumutbar sind und umgesetzt werden können.
Wir müssen beim Tierschutzgesetz auch an anderer Stelle das eine oder andere miteinander abwägen. Wir müssen uns aber selbstverständlich den rechtlichen Realitäten stellen. Das gilt auch beim Schwänzekürzen bei Schweinen. Die geplante Anpassung der Vorschriften zum Schwänzekürzen bei Schweinen setzt schlichweg EU-Recht um. Das Verbot des routinemäßigen Schwänzekupierens im EU-Recht besteht bereits seit etwa 30 Jahren. Wenn wir jetzt nicht handeln, droht uns auch hier ein EU-Vertragsverletzungsverfahren! Am Ende droht Deutschland entweder ein komplettes Kupierverbot oder ein Haltungsverbot von kupierten Tieren. Das kann doch ernsthaft keiner wollen! Denn das führt sicherlich nicht zu mehr Planungssicherheit und Verlässlichkeit, wie sie ja zurecht immer wieder von Ihnen eingefordert wird.
Zu einer guten, praktikablen Lösung sind wir in diesem Jahr sicherlich auch bei der GAP gekommen – konkret beim Thema GLÖZ. Ich habe bereits im vergangen Jahr die Regelungen zu GLÖZ 8 einmalig ausgesetzt. Jetzt habe ich sie in dieser Förderperiode ganz abgeschafft. Wir haben die obligatorische Stilllegung von 4 Prozent des Ackerlandes beendet und die Brüsseler Vorgaben 1:1 umgesetzt – ohne bürokratische Finessen, ohne zusätzliche Auflagen und ohne finanzielle Nachteile. Diese Neuregelung führt konkret zu mehr Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern. Zudem ist sie bares Geld für die Landwirtschaft. Weil man entweder von der bewirtschafteten Fläche Erträge einfährt oder weil man bei Stilllegung der Flächen die Prämie nach der entsprechenden Öko-Regelung erhält. Das war übrigens auch immer eine Forderung des Bauernverbandes. Das ist ganz sicher nicht nichts – und man sollte auch nicht so tun, als sei das nichts.
Ich möchte aber auch erreichen, dass sich über attraktive Öko-Regelungen Umweltschutz und Artenschutz lohnen. Es würde diesem Ziel sicherlich dienen, wenn wir Öko-Regelungen entsprechend anpassen, die beispielsweise Milchviehbetriebe – konventionell wie bio – deutlich stärken. Denn das sind leider die Verlierer der aktuellen GAP-Förderperiode. Die haben meine Vorgänger bzw. meine Vorgängerin bei ihrer Politik wohl vergessen.
Wenn wir jetzt nach vorne blicken, orientiert sich eine bessere GAP zukünftig an einem einfachen Prinzip: Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen! – so wie von Ihnen in der ZKL gefordert! Wir wollen unsere Bäuerinnen und Bauern belohnen, wenn sie wertvolle Leistungen erbringen, die von der Gesellschaft zurecht gewünscht werden. Es sind Leistungen, die für den Schutz von Böden, Wasser, Klima, Artenvielfalt und Tieren notwendig sind. Eine verbesserte GAP mit geeigneten Anreizen, die das Nutzen und Schützen unserer Lebensgrundlagen in Einklang bringen, wird auch dazu beitragen, die gesellschaftliche Stellenwert von Landwirtschaft zu stärken. Und sie spielt auch eine Rolle, wenn junge Menschen ernsthaft erwägen, Höfe zu übernehmen, um unsere Ernährung zu sichern und gleichzeitig ländliche Räume zu stärken.
Einen weiteren wichtigen Akzent in der europäischen Agrarpolitik haben wir zudem vor Kurzem gesetzt. Auch wenn das Stichwort "De-minimis-Beihilfen" eher was für agrarpolitische Feinschmecker ist, verbirgt sich dahinter für jeden Betrieb etwas ganz Konkretes. Denn die Ausgestaltung dieser Beihilfen beeinflusst, wie hoch die flexible, einfache und zielgenaue Hilfe für unsere Landwirtinnen und Landwirte in unvorhergesehenen Ausnahmesituationen sein kann. Ausnahmesituationen wie Unwetter, Dürren oder extreme Kostensteigerungen in Krisensituationen. Bisher lag diese Grenze bei 20.000 Euro. Auf meine Initiative hin hat jetzt die Europäische Kommission einen neuen Vorschlag vorgelegt, der diese geringfügigen Beihilfen auf 37.000 Euro anheben soll. Diese Erhöhung muss jetzt schnell und ohne weitere Verzögerungen kommen. Wir unterstützen auch die Einführung eines EU-weit verpflichtenden "De-minimis-Registers", um die Bürokratielasten für die Betriebe weiter abzubauen. Das verschlankt Nachweispflichten für die Betriebe und führt zu weniger Papierkram bei der Antragstellung. Hier verbinden wir also praktische Unterstützung mit dem Bürokratieabbau.
Meine Damen, meine Herren,
es mir geht darum, dass die gesamte Landwirtschaft nachhaltiger wird. Der Ökolandbau ist dabei ein besonders konsequenter Weg, den wir ausdrücklich unterstützen. Aber es gibt nicht nur einen Weg zur Nachhaltigkeit. Es ist nicht alles nur schwarz oder weiß, konventionell oder öko! Und da sehe ich mich auch von meinen Eindrücken vor Ort bestätigt. Es gibt keine Standardlösungen, sondern jeder Betrieb muss für sich die individuell passgenaue Variante finden.
Bäuerinnen und Bauern, gerade die nächste Generation, suchen immer nach neuen Lösungen, ihre Betriebe nachhaltiger zu machen. Es geht darum, Neues zu probieren, verschiedene Dimensionen zusammenzubringen und die biologische Vielfalt stets mit einzubeziehen. So wie man es auf den DLG-Feldtagen Anfang des Monats deutlich sehen und erleben konnte. Unter dem Leitthema "Pflanzenbau out of the Box" ging es nicht um Gegensätze, es wurden Neuigkeiten für den Ackerbau vorgestellt, die nach vorne denken, die innovativ und nachhaltig sind. Vielen Dank an die DLG für diesen praktischen Impuls und neue, spannende Ideen! Das hilft uns allen, über den berühmten Tellerrand zu blicken und zu lernen.
Ich habe im vergangenen Jahr viele spannende Konzepte rund um die regenerative Landwirtschaft kennengelernt – gerade auch hier in Brandenburg. Gerade weil die regenerative Bewirtschaftung im Vergleich zu Bio den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel oder chemischer Dünger erlaubt, ist dieser Ansatz auch für konventionelle Betriebe attraktiv.
Ich habe in den vergangenen Wochen auch beeindruckende Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter kennengelernt, die sich dem Thema Agroforst verschrieben haben. Ich habe gesehen, wie sich in einem Agroforst Reihen aus Apfelbäumen mit Ackerstreifen abgewechselt haben. So kommen Äpfel, Holz und Ackerbau in einem Anbausystem zusammen, das wertvolle Synergien bietet. Die Agroforstwirtschaft wird so zu Recht als "Multitalent" bezeichnet – als Lebensmittellieferant, Klimaschützer und Blickfang zugleich. Sie schafft eine zusätzliche Einnahmequelle für die Höfe. Es gibt in der Praxis aber noch einige bürokratische Hindernisse, gerade bei der Genehmigung neuer Agroforste und bei den Regeln zu Mindestabständen und Mindestbreiten. Das gehen wir an.
Zudem haben wir die Förderung von Agroforstsystemen über die GAP-Öko-Regelungen von 60 Euro auf 200 Euro je Hektar angehoben. So fördern wir die Vielfalt bei den Kulturpflanzen, den Nutztierrassen und den Gehölzen im Wald. Wir leisten einen konkreten Beitrag, um dem Verlust von Biodiversität entgegenzuwirken!
Es gibt mittlerweile viele innovative Lösungen für schwierige klimatische und vegetative Bedingungen. Das können dann auch die Kichererbsen aus Brandenburg sein. In der vergangenen Woche habe ich im nur gut hundert Kilometer entfernten Trebbin gesehen, dass das mehrfach Sinn macht. Die Felderbsen bieten unseren Betrieben entlang der gesamten Wertschöpfungskette neue Einkommenschancen. Mit dem Anbau in der Region schrumpfen die Transportwege, auch der Boden profitiert. Und weil die Hülsenfrüchte der brandenburgischen Trockenheit trotzen, sind sie eine Alternative für die Landwirtschaft in Zeiten der Klimaveränderung. Also eine win-win-win-Situation par excellence!
Lieber Herr Rukwied, liebe Landwirtinnen und Landwirte,
ich komme zum Schluss. Wenn ein Agrarminister – noch dazu ein grüner – und der Deutsche Bauernverband sich in allen Punkten einig wären, würden wir uns vermutlich fragen, was wir falsch machen. Wir brauchen die Auseinandersetzung in der Sache. Sonst würde sich nichts verändern – und der bequeme Weg, ich wiederhole mich da gerne, führt in die Sackgasse.
Entscheidend ist, dass wir eine ehrliche und anständige Debatte über unsere Landwirtschaft führen. Gerade weil die Landwirtschaft in langen Zyklen denkt, können und sollten wichtige Weichenstellungen nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent entschieden werden. Es geht hier um Betriebe, die oft seit vielen Generationen in Familienhand geführt werden. Dafür braucht es gute Perspektiven, dafür braucht es Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Dafür arbeite ich!
Und aus unterschiedlichen Perspektiven kann auch Gutes erwachsen. Ich war im November ja auch auf dem Deutschen Fleischkongress in Mainz. 500 Vertreterinnen und Vertreter der Fleischindustrie waren da, von den ganz großen Schlachtern bis zu den kleineren Handwerksbetrieben! Am Ende kam ein Mann auf mich zu und hat mir erzählt, dass er Metzger sei und seine Frau Vegetariern – und dass sie sich lieben, so wie sie sind. Das ist für mich unser offenes und tolerantes Deutschland. Das ist eine Realität jenseits von Lagern und Kulturkämpfen!
Wir müssen über Inhalte reden und schauen, wo wir Gemeinsamkeiten haben und wie wir uns unterstützen können. Wir sollten dabei Veränderungen als Chance begreifen. Gerne so, wie es die nächste Generation bereits tut. Anfang Juni hatten wir zu unserem 2. jugendpolitischen Forum ins Ministerium eingeladen, um mit jungen Menschen aus Landwirtschaft sowie Umwelt- und Klimaschutz zu diskutieren. Da war natürlich auch die Landjugend dabei! Und die Botschaft der rund 50 jungen Gäste aus den unterschiedlichsten Verbänden, Unternehmen und Hochschulen war klar. In einer gemeinsamen "Erklärung" fordern sie "noch in dieser Legislaturperiode weitere, ambitionierte Maßnahmen in der Agrar- und Umweltpolitik." Sie rufen Politiker und Politikerinnen "aller demokratischen Parteien auf, die Agrarpolitik zu priorisieren und nachhaltig zu gestalten". Andernfalls werde man die Zukunftsvision der deutschen Landwirtschaft, die in der Zukunftskommission Landwirtschaft formuliert wurde, nicht erreichen.
Ihr Schluss-Apell lautet: "Lasst uns in den konstruktiven Dialog gehen!" Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank!
Ort: Berlin