Ohne unsere Tierärztinnen und Tierärzte ließe sich das hohe Maß an Verbraucherschutz, Tierschutz und natürlich Tiergesundheit bei uns in Deutschland nicht halten.
Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Parlamentarischen Abend der Bundestierärztekammer (BTK) am 15. Oktober 2024 in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
vielen Dank für die Einladung zum heutigen Parlamentarischen Abend, an dem Sie ja gleich zwei große Jubiläen feiern: das 70-jährige Bestehen der Bundestierärztekammer und 50 Jahre Akademie für tierärztliche Fortbildung. Zu beiden runden Geburtstagen meinen herzlichen Glückwunsch. Stellen wir uns kurz vor, im Gründungsjahr der "Deutschen Tierärzteschaft", wie sie damals noch hieß, hätte es schon die Google-Bildersuche gegeben. Sie hätte unter dem Suchbegriff "Tierarzt" vermutlich folgendes Bild ausgespuckt: einen Mann oder eine Gruppe von Männern, die ein Pferd oder ein Rind untersuchen. Tippt man heute "Tierarzt" in der Bildersuche ein, werden auf den Fotos Katzenohren untersucht und Hundelungen abgehorcht − und das ganz überwiegend von Frauen. Natürlich sollte man Fotos, die wahrscheinlich zu PR-Zwecken erstellt worden sind, nicht mit der Realität verwechseln. Aber Fakt ist: Das Bild der Tierärzteschaft hat sich in den vergangenen 70 Jahren stark gewandelt.
Und mit ihm das Veterinärwesen selbst. Die Tiermedizin ist weiblicher geworden. Der Frauenanteil von 70 Prozent hat sogar schon zu Diskussionen über eine Männerquote für das Tiermedizin-Studium geführt. Die Zahl der angestellten Tierärzte steigt rasant. Zwischen 2003 und 2023 hat sich der Anteil an der gesamten Tierärzteschaft fast verdoppelt. Das Tätigkeitsfeld hat sich von der landwirtschaftlichen Tierhaltung immer stärker zu den Klein- und Heimtieren hin verlagert, was natürlich auch am Heimtierboom der vergangenen Jahre liegt. Mit mehr als 34 Millionen Haustieren sind wir Spitzenreiter in Europa. Da wundert es nicht, dass die Kleintiermedizin zur wichtigsten Säule Ihres Berufsstandes geworden ist. Und natürlich spielt auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier rein. Teilzeit wird auch im Veterinärwesen immer wichtiger. Sie stellen ja sogar zur Diskussion, ob der Tierärztemangel nicht viel mehr ein Arbeitsstundenmangel ist.
Und nicht zuletzt macht der medizinische Fortschritt natürlich auch vor der Tiermedizin nicht Halt. Immer neue Technologien und Methoden verbessern sowohl die Diagnostik, als auch die Behandlungsmöglichkeiten. Auch das wirkt sich natürlich auf den Alltag von Tierärztinnen und -ärzten aus. Mit all diesen Veränderungen müssen die Bundestierärztekammer und ihre Mitglieder Schritt halten. Aktuelle Herausforderungen wie zum Beispiel die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest oder der Blauzungenkrankheit in Deutschland sind da noch gar nicht eingerechnet. Und ich kann Ihnen versichern: Ich weiß, was für eine Belastungsprobe das derzeitige Tierseuchengeschehen für die Tierärzteschaft ist − vor allem für die Menschen in Laboren und Veterinärämtern. Da hilft es natürlich auch, dass wir mit Dr. Ophelia Nick eine Parlamentarische Staatssekretärin im Haus haben, die eine Berufskollegin von Ihnen ist.
Seit nun schon 70 Jahren entwickelt sich die Bundestierärztekammer gemeinsam mit dem Berufsstand weiter. Dabei haben Sie nie die Augen vor Problemen verschlossen. Dafür ist Ihr Umgang mit dem Fachkräftebedarf das beste Beispiel. Allein für dieses Jahr würden etwa 8.500 zusätzliche Tierärztinnen und Tierärzten gebraucht. Und in den nächsten Jahren wird sich das Problem wohl noch verschärfen: Rund 17 Prozent der meist hauptberuflichen arbeitenden Tierärzte gehen in den kommenden fünf Jahren in Ruhestand. Es ist eine Sache, ein Problem zu beschreiben. Aber eine ganz andere, es auch anzupacken − und genau das machen Sie! Sie tauschen sich intensiv mit den tierärztlichen Berufsverbänden und Fakultäten aus − unter anderem über die AG "Zukunft". Unsere Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick hat sich im vergangenen Jahr ja schon selbst ein Bild von der Arbeit der AG machen können. Sie betreiben Ursachenforschung. Und Sie arbeiten an ganz konkreten Maßnahmen, um den Fachkräftebedarf und ja leider auch -mangel zu decken.
Und wo wir schon beim Lob sind: Wir im BMEL profitieren sehr von der Zusammenarbeit mit Ihnen, zum Beispiel im Bereich des Tierschutzes. Das gilt ganz besonders für Ihre konstruktiven und wichtigen fachlichen Stellungnahmen. Ganz aktuell bei der laufenden Änderung des Tierschutzgesetzes, der Änderung der Tierschutz-Versuchstierverordnung oder zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über das Wohlergehen von Hunden und Katzen und ihre Rückverfolgbarkeit. Mit der aktuell vorliegenden Änderung des Tierschutzgesetzes schaffen wir wichtige Verbesserungen für den Schutz von Tieren in Deutschland. Wir verbessern den Tierschutz in der Breite, zum Beispiel durch die verpflichtenden Videoaufzeichnungen in Schlachthöfen, die Reduzierung der Durchführung nicht-kurativer Eingriffe oder die Konkretisierung des bestehenden Qualzuchtverbotes. Es ist die umfangreichste Überarbeitung des Tierschutzgesetzes seit vielen Jahren. Dabei hat uns ein Gedanke geleitet: dass es den Tieren in Deutschland nach der Gesetzesänderung bessergehen soll als vorher.
Meine Damen, meine Herren,
den Job der Tierärztin oder des Tierarztes attraktiv zu halten, ist eine Aufgabe, die Sie selbstverständlich nicht allein bewältigen können. Hier müssen Tierhalterinnen und Tierhalter, Berufsverbände, Kammervertretungen, Universitäten, die Politik und die Rechtsetzung an einem Strang ziehen. Alle Beteiligten sind gefragt, Ideen einzubringen und Lösungen zu erarbeiten. Wir haben einen Teil beigetragen: Und mit der − nach mehr als 20 Jahren dringend erforderlichen − Anpassung der Gebührenordnung für Tierärztinnen und Tierärzte (GOT), die Voraussetzungen für ein auskömmliches Einkommen geschaffen. Das gibt Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern die Möglichkeit, attraktive Arbeitsverhältnisse anzubieten. Denn natürlich werden Tierärztinnen und Tierärzte nur dann eine eigene Praxis führen oder in einer Praxis tätig sein, wenn sie für ihre Arbeit und ihren Einsatz angemessen entlohnt werden. Und wir wollen auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Tierärztinnen und Tierärzte künftig weniger Stunden am Schreibtisch verbringen müssen und mehr Zeit für ihren eigentlichen Job haben. Deshalb haben wir uns bei der Novellierung der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass die tierärztlichen Nachweispflichten vereinfacht und entbürokratisiert werden. Dies ist uns auch weitgehend gelungen, wie die Abstimmung im Bundesratsplenum Ende September gezeigt hat.
Wir freuen uns sehr, dass der Bundesrat im Plenum letztlich nicht der Ausschussempfehlung gefolgt ist, die Angaben "Chargennummer" und "Diagnose" wieder in die tierärztlichen Nachweise aufzunehmen. Die Streichung dieser Angaben war ein langgehegter Wunsch der Tierärzteschaft. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass der Bundesrat auch die zweite kritische Empfehlung des Ausschusses abgelehnt hätte − nämlich den Zusatz "Nicht zur Vorlage in der Apotheke bestimmt" auf der tierärztlichen Verschreibung, die der Tierhalterin oder dem Tierhalter ausgehändigt wird. Aus unserer Sicht ist diese Angabe unnötig bürokratisch und überflüssig. Leider ist eine Mehrheit der Länder dem jedoch nicht gefolgt. Das ändert natürlich nichts daran, dass die neue Verordnung in Kürze verkündet wird. An dieser Stelle auch einen Dank für Ihre wertvollen und konstruktiven Beiträge im Rahmen der Anhörung.
Und zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes und des Apothekengesetzes: Wir sehen es wie Sie und die Tierärzteschaft. Wir halten eine Verschiebung des Datums der Antibiotikadatenerfassung bei Hunden und Katzen für eine angemessene Maßnahme, um die Arbeitsbedingungen für praktizierende Tierärztinnen und Tierärzte zu erleichtern. Deshalb setzen wir uns im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür ein, dass das erste Erfassungsjahr auf das EU-Datum – also auf 2029 verschoben wird. Wir verfolgen das Ziel, den Gesetzentwurf in diesem Punkt abzuändern. Wichtig für die praktizierenden Tierärzte ist auch die Einführung der sogenannten zweiten Stufe im Gesetzentwurf: Das sind die Vorschriften zur Antibiotikadatenerfassung bei Schafen, Ziegen, Gänsen, Enten, Pferden, Fischen und lebensmittelliefernden Kaninchen. Die EU verlangt diese Datenerfassung ab 1. Januar 2026. Wir sind dem Wunsch der Tierärzteschaft gefolgt, bei "Stufe 2" strikt auf eine 1:1-Umsetzung von EU-Recht zu achten. Das heißt, von den Tierärzten sollen keine weiteren Angaben verlangt werden, als im EU-Datenformat vorgesehen. Das gibt Tierärztinnen und Tierärzten auch die Möglichkeit, anstatt von Einzelmeldungen jeder Antibiotikaanwendung nur die Meldung einer verbrauchten Antibiotika-Menge pro Kalenderhalbjahr durchzuführen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Lösung der Tierärzteschaft die Antibiotikameldungen für diese Tiere weitgehend erleichtern wird.
Meine Damen, meine Herren,
ohne unsere Tierärztinnen und Tierärzte ließe sich das hohe Maß an Verbraucherschutz, Tierschutz und natürlich Tiergesundheit bei uns in Deutschland nicht halten. Einen herzlichen Dank an die Bundestierärztekammer, die seit 70 Jahren die Belange der Tierärzteschaft gegenüber der Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit vertritt. Und natürlich auch an die Akademie für tierärztliche Fortbildung, die die Qualität und Aktualität der Fortbildung garantiert. Und bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch ein letztes Lob aussprechen − auch, wenn es um ein Thema geht, das etwas abseits unseres gemeinsamen Tagesgeschäfts liegt. Ich finde, es ist trotzdem einer Erwähnung wert. Ganz besonders, weil wir heute das 70-jährige Bestehen der Bundestierärztekammer begehen. Es geht um Ihre kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Tiermedizin in Deutschland. Ich halte es für ein wichtiges Zeichen, dass Sie auf Ihrer Website eine Datenbank zu NS-Schicksalen eingerichtet haben. Dort sind biografische Informationen zu Tierärzten und Studierenden der Tiermedizin sowie deren Angehörigen zu finden, die wegen ihres jüdischen Glaubens oder ihrer Abstammung verfolgt wurden. Ich wünsche mir, dass mehr Verbände, Institutionen und Firmen sich daran ein Beispiel nehmen. Schließlich ist es unsere gemeinsame Aufgabe, das Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten am Leben zu halten. Heute mehr denn je. Und nun wünsche ich Ihnen und uns einen schönen Abend.
Vielen Dank!
Ort: Berlin